Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
sog hörbar Luft in seine Lungen.
Nikolas wusste, was er damit sagen wollte. Erbschande. Sippenhaft.
»Man sollte besonders aufpassen, wenn man nur noch deshalb seines Lebens habhaft ist, weil man von hoher Stelle eine Amnesie erhielt. Doch wie ich eben schon andeutete, diese wird irgendwann erlöschen.« Seine Mundwinkel gingen weit nach oben.
Nikolas hielt seinem dämlichen Grinsen und dem vielsagenden Blick stand. »Ich verstehe.«
General von Stülpnagel musste viel riskiert haben, um seinen Tod zu verhindern. Hatte seine ganze Macht ausgespielt. Doch sein Schutz würde nicht ewig währen und Nikolas lief die Zeit davon.
Alles war gesagt, alle Drohungen und Einschüchterungen ausgesprochen. Was für eine groteske, ja, absurde Situation sich doch ergab. Nikolas musste tatsächlich die Zeit mit dem Mann auf engstem Raum verbringen, der ihm mehrmals mit seinem baldigen Ableben gedroht hatte – auf seine affektierte und hochtrabende Art. Er versuchte, die Maskerade des Offiziers auszublenden, der nun kein Wort mehr von sich gab, erlaubte sich lediglich noch einen kurzen Blick zu ihm, während Varusbach seine Krawatte im Fenster richtete. Dort saß der Urheber von Projekt Dunkle Wolke, für dessen Verhinderung General von Stülpnagel bereit war, alles zu riskieren. Sogar das Leben seiner Familie. Genau wie Erik.
Erbschande. Sippenhaft. Erneut krochen diese Wörter in Nikolas’ Verstand. Hatte von Stülpnagel nicht erwähnt, dass er drei Kinder hatte? Welche Angst muss diesen Mann getrieben haben, dass er so weit ging?
Es gab nur eine Person, die mehr zu wissen schien, die Antworten auf seine Fragen hatte, welche auf ihm lasteten wie eine unheilbare Krankheit,.
Es kam ihm unendlich lange vor, bis der Wagen endlich in das heimische Oberkassel einbog und schließlich vor dem Haus seines Vaters hielt.
»Wir lassen Herrn Dr. Weißenfels ebenfalls hier aussteigen«, erklärte Varusbach. »Ich bin mir sicher, Sie haben sich eine Menge zu erzählen.«
Gerade als Nikolas die Tür öffnete und aussteigen wollte, packte der Offizier seinen Arm und lehnte sich zu ihm.
»Herr Brandenburg, ich möchte Ihnen nochmals raten, einfach ein paar ruhige Tage in der Heimat zu verbringen und sich danach wieder in den Polizeidienst zu begeben. Eventuell könnte man dann diese unleidliche Geschichte in Paris vergessen.« Varusbach lächelte wohlwollend. »Ich könnte ein gutes Wort für Sie einlegen. Schließlich bin ich kein Menschenfeind. Niemand muss in dieser Geschichte unnötig leiden.«
Nikolas hatte genug gehört. Energisch stieg er aus. »Danke für die Fahrt«, sagte er trocken und schlug die Wagentür zu.
Sein Koffer wurde auf die Straße gestellt, dann setzten sich die Fahrzeuge in Bewegung. 20 Meter entfernt starrte Martin verdutzt den Autos hinterher, bis das Röhren der Motoren nicht mehr zu hören war. Erwartungsvoll sah er sich um. Er sprühte vor Glück, während er freudestrahlend und euphorisiert auf ihn zuschritt.
»Wir haben es tatsächlich geschafft«, jubelte er etwas zu laut. »Wir haben es wirklich geschafft!« Kräftig schloss er Nikolas in die Arme.
»Ja, wir haben es geschafft«, antwortete Nikolas gedankenverloren.
Ein komisches Bild mussten sie abgeben. Zwei Männer, die sich am helllichten Tag auf offener Straße innig umarmten.
»Wer war bei dir im Auto? Hat er dir Fragen gestellt? Was hast du gesagt?«, fragte Nikolas schließlich so ernst und hastig hintereinander, dass es seinem Freund jegliche Emotionen aus dem Gesicht trieb.
»Zwei Soldaten«, schoss es aus Martin heraus. »Haben die ganze Zeit geschwiegen.«
Nikolas nickte verständig. Sein Blick fiel auf das Haus seines Vaters. »Komm, lass uns zu dir gehen. Wir haben viel zu bereden.«
»Den ganzen Weg?«, wollte Martin mit weit aufgerissenen Augen wissen. Anscheinend behagte ihm die Vorstellung nicht besonders, quer durch die ganze Stadt zu pilgern.
»Wir haben viel zu bereden«, wiederholte Nikolas.
Seine Stimme war klar und trotzdem angespannt. Er nahm seinen Koffer und machte die ersten Schritte in die Düsseldorfer Innenstadt.
Gemeinsam reihten sie sich in die Kolonne der Menschen ein, deren Häuser in den vorherigen Nächten zerstört worden waren, und die in schmutziger Kleidung, welche sie schon seit Tagen trugen, nach einem Platz zum Schlafen suchten.
Glücklich konnte sich derjenige schätzen, der Verwandte oder Freunde mit einer intakten Behausung hatte. Alle anderen waren darauf angewiesen, dass Fremde ihnen
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