Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
meinem Leben gehört, als ich es mir selbst einzugestehen vermochte.«
Eduard brummte unwillig. »Was hast du vor, Nikolas?«
»Gerechtigkeit, Vater. Das, was du mir damals immer gepredigt hast, als ich noch ein kleiner Junge war. Die Sache, an die du den Glauben verloren hast, als Mutter starb. Gerechtigkeit. Jetzt habe ich es verstanden.«
Die Augen seines Vaters verengten sich. Die schwarzen Pupillen waren kaum mehr zu erkennen. Er versuchte, im Gesicht seines Sohn zu lesen, wie er es bei unzähligen Menschen während seiner Dienstzeit getan hatte. »Du siehst schrecklich aus«, sagte er schließlich, als er die Wunden und Verletzungen im Gesicht seines Sohnesbetrachtete. Vielleicht waren es Nikolas’ tiefste Wünsche, die ihn einen Hauch des Mitgefühls in der Stimme seines Vaters erkennen ließen. Vielleicht war er einfach nur überrascht, als die Tonlage auf einmal sanfter, beinahe sorgenvoll wurde. Vielleicht hatte sein Vater aber auch zum ersten Mal seit langer Zeit Sorge um ihn.
»So, wie du aussiehst, wird es gefährlich, oder?«, wollte er wissen.
Nikolas sah einen Moment zu Boden, dann wieder in das Gesicht seines Vaters. Er wusste, dass sein Vater mit aller Macht versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Wenn du irgendwann in der Zeitung etwas über mich liest, bitte glaub es nicht. Glaube nicht das, was sie über mich schreiben.«
Es dauerte einen Augenblick, schließlich nickte sein Vater still.
Nikolas zog die Nase hoch. »Danke für alles. Danke, dass du versucht hast, mir beizubringen, was Gerechtigkeit ist. Leb wohl, Vater.«
Hastig drehte er sich um und nahm eilig die wenigen Stufen.
»Nikolas, warte!«
Das Klacken der Gehhilfen durchdrang in die schwarze Nacht unnatürlich, als Eduard langsam auf seinen Sohn zuschritt. Mit angestrengtem Stöhnen lehnte er sein ganzes Gewicht auf eine Stütze, griff dann an seinen Hosenbund und drückte Nikolas eine Pistole in die Hand. »Hier sind auch noch drei Magazine dazu. Wenn es gefährlich wird, nimmst du die besser mit.«
Sein Ton war hart, hatte nichts an Kraft eingebüßt, aber in seinen Augen konnte Nikolas etwas erkennen – die Sorge eines Vaters.
Die Walther PPK wog schwer in seiner Hand und war trotzdem der größte Gefühlsausdruck, zu dem sein Vater fähig schien.
»Danke«, murmelte Nikolas ehrlich.
Dann stieg er in das Fahrzeug. Die Straße war dunkel, doch im Rückspiegel konnte er im fahlen Schein seinen Vater erkennen. Er hob die Hand zum Abschied.
Nikolas hatte größte Mühe, den Wagen durch die Stadt zu steuern. Die Luftschutzwarte in Düsseldorf achtete peinlich genau darauf, dass die Scheinwerfer der Autos und Fahrräder mit pechschwarzen Schutzüberzügen ausgestattet waren, sodass nur ein schmaler Schlitz einen Lichtstrahl hindurch ließ, was mehr der Erkennung als der eigenen Sicht diente. Im Paris waren derlei Maßnahmen noch nicht zur Anwendung gekommen, dachte Nikolas, als die Zahl der Häuser abnahm und er immer mehr über weite Felder blickten konnte. Er hoffte, dass es so blieb.
Der Forst Garath war am südlichen Teil Düsseldorfs gelegen, beinahe schon in Hilden. Dieses kleine Städtchen hatte selbst in Düsseldorf größere Berühmtheit erlangt, durch die Blutsonntage vor dem Krieg. Anhänger der NSDAP und kommunistischer Gruppierungen lieferten sich regelmäßig Straßenschlachten, an denen auch Anhänger aus Düsseldorf beteiligt waren. Nikolas’ Vater hatte oft davon erzählt und die Zeitungsberichte teilweise laut vorgelesen.
Nikolas war sich um die finstere Tiefe des Mischwalds bewusst. Schon nach wenigen Metern schienen die mächtigen Kronen des Forstes jegliches Licht zu schlucken, sodass man nach einigen Schritten die Orientierung verlor. In einer Nacht wie dieser, in der die schmale Mondsichel nur wenig ihres trüben Scheins auf die Erde fallen ließ, war es tödlich, von einem der wenigen Feldwege abzukommen. In seiner Zeit als Kriminalkommissar hatte er hier viele Tote gesehen. Halb verweste Leichen von Kindern, die wochenlang als vermisst gemeldet waren. Frauen ohne ihre Kleider, die bereits tagelang unter der Erde verscharrt waren. Gott allein wusste, welches Martyrium sie bis zu ihrem Tod hatten ertragen müssen. Der Wald schluckte vieles und die Verbrecher wussten das. Nikolas wollte sich gar nicht ausmalen, wie viele Geheimnisse dieses Dickicht noch beherbergte. Doch zumindest bei einem war er fest entschlossen, es zu lösen.
Er öffnete das Fenster des alten Opels und ließ den Wind
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