Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Obdach gewährten. Und trotzdem schlug die Lebensader der Stadt weiter, Geschäfte wurde betrieben und selbst die Straßenbahn quälte sich über die freigeräumten Gleise. Von einigen, meist jüngeren Bewohnern war der Wille ungebrochen. Die Hitlerjugend stolzierte über die Plätze und Straßen, während Frauen mit Kinderwagen versuchten, etwas Essbares aufzutreiben. Nur die unversehrten Männer fehlten in diesem Bild, sodass die beiden beinahe ein Unikum bildeten und aus der Masse herausstachen.
Mit dem Versuch, keine Wertung in seine Erzählung zu legen, berichtete Nikolas von den Gesprächen mit General von Stülpnagel, mit Varusbach, mit Claire. Er ließ nichts aus, jedes Detail, das sich noch an seine Erinnerungen klammerte, wurde erwähnt.
Das Haus, in dem Martin wohnte, war von den Bomben verschont geblieben. 200 Meter weiter sah das Bild anders aus. Dort, wo eigentlich ein großes Mehrfamilienhaus den Abschluss einer Straße bilden sollte, ragten nur noch verkohlte Balken in den Himmel. Das schwarze Gerüst thronte auf dem Schutt des Gebäudes.
»Phosphorbomben«, hauchte Martin atemlos, den Blick nicht von den dunklen Stellen der Häuser nehmen, bei denen es die Brandwehr geschafft hatte, den Übergriff des allesfressenden Feuers zu stoppen.
Als er sich umdrehte, stand ihm der Schweiß auf der Stirn und rann in dicken Tropfen an seinem Hals herunter. »Was hat du jetzt vor, Nikolas?«
»Im Schutz der Nacht werde ich die Adresse aufsuchen.«
»Allein?« Martins Stimme war sorgenvoll und etwas zu schrill. »Ohne Waffen? Du weißt nicht, was dich dort erwartet. Sie könnten dich umbringen, einfach so.« Mit der Hand schnippt er.
»Es ist besser so. Nur dort bekomme ich Antworten. Es ist die einzige Möglichkeit.«
Martin sah zu Boden. »Und was ist, wenn sie ihn umgebracht haben? Die Résistance? Dieser Feldwebel hat doch gesagt, dass sie es auf Chemiker abgesehen haben. Was ist, wenn Pâquerette ihn auf dem Gewissen hat oder die kleine Französin?«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Vor irgendetwas hatte Erik Angst.« Nikolas lächelte gequält. »Du wirst verstehen, dass ich herausfinden muss, wovor. Dass ich den Weg weitergehen muss.«
Martin seufzte tief und schob seine Brille nach oben, dann warf er den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Nach Tagen des Regens und der grauen Tristesse waren heute nur wenige Wolken zu erkennen, die sich über das Azurblau legten.
»Nikolas, ich habe Familie, wenn etwas schiefgeht …«, seine Stimme stockte. »Du weißt, was sie mit ihnen machen.«
»Deshalb werde ich alleine gehen.« Der direkte, gnadenlose Tonfall ließ keine Einwände zu. Seine Entscheidung war endgültig.
Martin kämpfte mich sich selbst, jedes Wort war durchzogen von Schuld und Schwere. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
Ausgesprochen lasteten die Worte schwer auf seinem Gemüt.
»Du hast schon genug riskiert, Martin. Lass es gut sein. Aber du verstehst, dass ich das tun muss.«
Nikolas sah, wie mit jeder Silbe, die seine Lippen verließ, Schmerz durch Martins Knochen glitt, der in dessen Kopf seinen qualvollen Höhepunkt fand.
»Es tut mir leid, Nikolas«, wimmerte er schließlich, während über seine Wangen Tränen kullerten.
Auch in Nikolas breitete sich ein drückendes Gefühl aus. »Das muss es nicht, alter Freund. Es ist die richtige Entscheidung, glaube mir.«
Dann gaben sich die beiden Männer die Hand, schließlich umarmten sie sich. Doch diesmal war es ihnen egal, was die Leute dachten.
»Erik muss gewusst haben, warum er dir und nicht mir diesen Brief schrieb«, seufzte Martin leise. »Es war die richtige Entscheidung.«
Kapitel 14
– Die Macht der Verführung –
Nikolas saß im Halbdunkel. Eine einzige Lampe brannte und erhellte das Wohnzimmer der Familie Weißenfels mit warmem, aber trübem Licht. Er hatte Martin geraten, sich direkt in den Krankenanstalten zu melden, um kein Aufsehen zu erregen. Von dort könnte er auch unbemerkt seine Familie anrufen. Martin hatte darauf bestanden, ihm ein leichtes Schmerzmittel zu geben und Nikolas’ Wunden frisch zu verbinden. Langsam ließ das drückende Gefühl in Nikolas’ Magengegend nach. Nur sein blaues Auge pulsierte weiterhin mit jedem Herzschlag. Unter Protest war Martin schließlich gegangen, hatte ihm aber die Schlüssel zu seinem Wagen gegeben. Ein Glück, dass er Arzt war und die Benzinrationierung ihn nur am Rande betraf.
Als die Tür ins Schloss fiel, verließen Nikolas die
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