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Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Titel: Wunschkonzert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
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Martin gegenüber zusammenzureißen und keinen von beiden anzuschreien. Okay, beim Völkerball knalle ich Martin einmal mit voller Wucht den Ball gegen den Kopf, aber das kann ich mit Fug und Recht unter »Unfall« verbuchen. Tim gegenüber gebe ich mich kühl und reserviert. Und nachdem ich ihn am Donnerstag bei dem sogenannten Orientierungslauf, der mich ein bisschen an eine Schnitzeljagd erinnerte, einmal so richtig böse angeguckt und mit einem »Nein danke!« angeschnauzt habe, weil er allen Ernstes wissen wollte, ob ich mir später noch einen neuen Song von ihm anhören möchte, ist an dieser Front endgültig Ruhe.
    Auch von meinen anderen Kollegen habe ich mich so weit wie möglich zurückgezogen, selbst Hilde gegenüber habe ich die Schotten dicht gemacht. Ich bin einfach nur froh, wenn dieses blöde Seminar vorbei ist und ich wieder nach Hause kann. Ich will, ich brauche meine Ruhe! Habe ja schon immer gewusst, dass gruppendynamische Veranstaltungen nichts für mich sind, jetzt habe ich einmal mehr Gewissheit darüber.
     
    Am letzten Abend unseres wunderbaren Aufenthaltes in der Lüneburger Heide bittet David uns darum, dass wir uns nach dem Essen alle im Aufenthaltsraum versammeln. Zwar würde ich am liebsten in meinem Zimmer verschwinden und dort erschöpft ins Bett fallen, aber getreu dem Motto »professionell und freundlich« folge ich seinen Anweisungen. So sitzen wir da, nachdem wir uns auf den umstehenden Stühlen, Sesseln und dem zerschlissenen Sofa verteilt haben, in trauter Runde und warten mehr oder weniger gespannt darauf, welche tolle Übung David als Nächstes aus seinem schwarzen Buch zaubert.
    »In den vergangenen Tagen«, sagt er, »hat jeder von euch versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen.« Bei diesen Worten muss ich unwillkürlich daran denken, wie ich gestern unter seinem Bett lag, als er mit Mareike geknutscht hat, und kann ein leises Kichern gerade noch verhindern. »Heute Abend«, fährt er fort, »möchte ich, dass wir das genaue Gegenteil tun.«
    »Das genaue Gegenteil?«, fragt Hilde erstaunt nach. David nickt.
    »Richtig. Ich möchte, dass ihr euch von eurer schlechtesten Seite zeigt. Dazu setzen wir uns alle in einen Kreis.«
    »Na, da will nun aber sicher niemand den Anfang machen«, mutmaßt Hilde.
    David lächelt sie an, als habe sie ihm genau das richtige Stichwort gegeben. »Das befürchte ich auch. Und darum lassen wir die hier«, er nimmt eine leere Glasflasche in die Hand, die neben seinem Stuhl steht, »kreisen. Der, auf den sie zeigt, muss sein peinlichstes oder unangenehmstes Erlebnis erzählen. Oder etwas, bei dem er sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. Von mir aus auch eine Geschichte, bei der er sich doof oder ungerecht oder sogar gemein verhalten hat.«
    »Dazu dürfte Martin eine ganze Menge einfallen«, rutscht es mir raus.
    »Haha«, gibt mein Kollege nur zurück und wirkt wie die Gelassenheit in Person.
    »Ich verstehe allerdings nicht so ganz, was uns das bringen soll, wenn wir eine Art Beichte ablegen«, sage ich an David gewandt.
    »Ganz einfach: Jeder von uns macht mal Fehler oder baut Mist«, erklärt er. »Das ist ganz menschlich. Wenn wir uns das eingestehen und vielleicht sogar zusammen darüber lachen können, macht das jeden Einzelnen von uns stärker.«
    Ich widerstehe dem Reflex, genervt die Augen zu verdrehen. Glaubt er denn wirklich, dass hier jemand etwas zugibt, was ihm unangenehm ist? Das ist wie die Frage bei Vorstellungsgesprächen:
Was ist Ihre größte Schwäche
 – da erzählt man dann doch auch tunlichst Dinge, die der potenzielle Chef super finden wird. So etwas wie
Ich bin ungeduldig,
denn das bedeutet, dass man schnell ist. Am liebsten würde ich jetzt aufstehen und rausgehen, ich habe von diesem Unsinn so was von die Nase voll! Aber ich rufe mir wieder Mamas Worte ins Gedächtnis:
professionell und freundlich.
Also mache ich diesen Kindergarten hier halt mit und sauge mir irgendeine Geschichte aus den Fingern, was soll’s?
    »Ich finde die Idee echt geil!«, kommentiert Tobias. »Hab ja schon am Anfang gesagt, dass ich Flaschendrehen machen will. Darf ich anfangen?«
    »Nur zu!«, fordert David ihn auf. Wir schieben die Stühle und Sessel zur Seite und setzen uns alle in einen Kreis. Tobias schnappt sich die Flasche und gibt ihr einen schwungvollen Schubs. Ausgerechnet Hilde ist die Erste, auf die sie zeigt.
    Zehn Minuten später liegen wir alle vor lauter Lachen am Boden. Auch ich selbst kriege mich gar nicht mehr ein,

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