Wunschkonzert: Roman (German Edition)
dem Deppen, was denkt der sich auch bei so einem Überfall?
»Was sollte das gerade?«
»Stella, tut mir leid«, findet er schließlich seine Sprache wieder. »Ich dachte … also, ich dachte …« Er verstummt.
»Du dachtest
was?
«, hake ich nach.
»Na ja«, er wirkt verlegen, »ich dachte, wir verstehen uns mittlerweile doch ganz gut, und da wollte ich …«
»Du dachtest«, schneide ich ihm das Wort ab, »weil wir uns mittlerweile ganz gut verstehen, hüpfe ich gleich mit dir ins Bett?« Ich starre ihn entgeistert an. Mein lieber Herr Kollege hat sie wirklich nicht mehr alle!
»Nein, das natürlich nicht«, erwidert er schnell. »Es ist nur so, dass ich dich wirklich gern mag. Mehr als das sogar, ich fühle mich irgendwie sehr zu dir hingezogen … Du bist einfach eine richtig tolle Frau, Stella, jemanden wie dich trifft man nicht so oft, und da hatte ich gehofft …« Wieder erstirbt seine Stimme.
»Tja, falsch gehofft«, gebe ich schnippisch zurück. Obwohl ich mich zu meiner eigenen Überraschung auch freue über das, was Martin gerade gesagt hat. Hört man ja immer gerne, dass sich jemand zu einem hingezogen fühlt und dass man eine tolle Frau ist. Allerdings heißt das nicht, dass man auch auf tätliche Angriffe stehen muss.
»Es tut mir echt leid, Stella«, sagt Martin wieder. »Da habe ich die Situation scheinbar völlig falsch eingeschätzt.«
»Das hast du«, stimme ich ihm zu. Erstaunlich: Der große, strahlende Martin Stichler kann richtig niedlich aussehen, wenn er mit waidwundem Blick um Verzeihung bittet. »Außerdem«, stelle ich scherzhaft fest, »sind wir hier in einer Jugendherberge, da sind Jungsbesuche auf den Mädchenzimmern nicht gestattet.«
»Wo steht das?« Nun lächelt er mich an, allerdings nur ganz zaghaft und vorsichtig, so als würde er damit rechnen, dass ich ihm im nächsten Moment gleich wieder eine scheppere.
»In der Hausordnung«, kläre ich ihn auf. »Hängt direkt neben dem Eingang.« Martin setzt eine gespielt bestürzte Miene auf.
»Um Himmels willen!«, ruft er aus. »Fräulein Wundermann, das wusste ich nicht! Wenn das so ist, werde ich Ihr Zimmer selbstverständlich auf der Stelle verlassen!«
»Ich bitte darum, entferne Er sich!«, entgegne ich und kämpfe gegen ein Lachen an. Schon seltsam, eben habe ich ihm noch eine geknallt, jetzt muss ich mich über ihn schon amüsieren. Ist schon eine ganz besondere Nummer, unser Herr Strammberg!
Martin macht Anstalten, sich rückwärts und in gebückter Haltung, einen Diener andeutend, aus meinem Zimmer zu verdrücken. »Ich wünsche Ihnen dann noch eine angenehme Nachtruhe, Fräulein Wundermann.«
»Die wünsche ich Ihnen auch, Herr Stichler.« Martin macht rückwärts ein paar Schritte durch die Tür hinaus in den Flur. Dann verneigt er sich noch einmal.
»Mit meiner Empfehlung, gnädige Frau!«
»Mit Dank zurück, der Herr. Und träumen Sie süß.«
»Das werde ich.« Er zwinkert mir zu, dann schließt er die Augen und spitzt die Lippen, als würde er erwarten, dass ich ihm einen Kuss auf die Lippen drücke. Das mache ich natürlich …
nicht!
Stattdessen werfe ich einfach die Tür zu. Draußen erklingt ein laut hörbarer Seufzer, und ich kann nicht umhin, leise vor mich hin zu kichern. Was für ein verrückter Kerl!
Als ich zehn Minuten später in meinem Bett liege, Möhrchen fest an mich gedrückt (glücklicherweise hatte ich den unter meiner Decke versteckt; es wäre mir hochgradig peinlich, wenn Martin meinen Kuschelhasen gesehen hätte), herrscht in meinem Kopf ein großes Durcheinander. Ich versuche, mich mit Hilfe meines Liebesschmökers davon abzulenken, aber meine Gedanken fahren einfach Karussell. Statt Sébastian vor Augen zu haben, der auf dem Cover meines Romans so eindrucksvoll mit nacktem, muskulösem Oberkörper abgebildet ist, wie er die feurige Angelique leidenschaftlich an seine breite Brust reißt, muss ich immer wieder an Martin denken. Martin mit seinem Blondschopf, seinen großen blauen Augen, dem vorwitzigen Lächeln, dem Grübchen in der rechten Wange … Und zwischendurch verwandelt sich das Bild in Tim Lievers, lässig mit Dreitagebart, dunklen Augen und Haaren und einem Grübchen in der anderen Wange.
Nur durch einen Mann wie Sébastian,
vertraut Angelique soeben ihrer besten Freundin Constance an,
kann ich wirklich zur Frau erblühen.
Nee, oder? Ich feuere das Buch ans Fußende meines Bettes.
Zur Frau erblühen? Will die Alte mich verarschen?
In meinem Leben tummeln sich
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