Wunschkonzert: Roman (German Edition)
bestätigt meine Vermutung,
Piu que puoi
steht da,
Eros Ramazzotti und Cher.
Ein Duett. Ein italienisches Duett! Martin wird doch wohl nicht …?
Guarir non è possibile
La malattia di vivere
Sapessi com’è vera
Questa cosa qui
Martins Italienisch ist grauenhaft, aber das ist hier gerade das geringste Problem. Denn während er singt, kommt er mit ausgestreckter Hand auf mich zu, unterbricht zwischendurch seinen Gesang und sagt: »Komm, Stella, sei meine Cher!«, was zu lautem Gejohle führt.
»Jetzt steh schon auf!«, ruft Hilde vom Nebentisch. »So ein schönes, romantisches Lied!« Mein Blick wandert zu David, der mich ebenfalls auffordernd ansieht. Und obwohl ich sicher bin, dass ich auf dem Weg zur Bühne vor lauter Angst zusammenbrechen werde, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als aufzustehen und es wenigstens zu versuchen. Wobei es ja schon auch ganz niedlich ist, dass Martin den DJ extra für mich darum gebeten hat, ein italienisches Lied zu spielen. Okay, der Part, den Cher – also ich – in dem Song singt, ist genau genommen auf Englisch. Aber es ist ja der Gedanke, der zählt, da will ich nicht kleinlich sein. Und, wie gesagt: Ich rechne eh nicht wirklich damit, dass ich es überhaupt bis zur Bühne schaffe …
Martin lächelt mich aufmunternd an, dann schmettert er als Eros für Arme zum ersten Mal den Refrain.
Während er die letzte Zeile singt, habe ich das zweite Mikrofon, das neben ihm steht, erreicht. Wieder erklingt tosender Applaus von meinen Kollegen, ich hole tief Luft, um die erste Textzeile zu singen:
You’ve got one chance, the gift to feel love’s deepest pain you cannot heal.
Ich kenne das Lied gut, wir Italiener oder auch Halbitaliener kennen
alle
Songs von Eros Ramazzotti sehr gut, und gerade das hier habe ich schon hundertmal in der Badewanne vor mich hin geschmettert.
Gespannt starrt mein Publikum mich an.
Du kannst das, Stella. Du singst doch ständig, warum nicht hier?
Ich schließe die Augen, hole noch einmal tief Luft, und dann kommt –
Nichts. Bis auf ein kurzes Kieksen bringe ich keinen Ton hervor, meine Stimme versagt komplett, meine Kehle ist wie zugeschnürt. O Gott, ist das unangenehm! Ich stehe hier stumm wie ein Fisch, und sämtliche Kollegen sowie mein neuer Chef sind Zeugen, wie Stella Wundermann bei einer so lächerlichen Aufgabe wie Karaoke voll und ganz versagt. Jeder von ihnen, selbst Tobias, hat hier irgendwas zustande gebracht – nur ich nicht, ich versage auf der ganzen Linie.
»Komm, Stella«, raunt Martin mir zu und nimmt meine Hand. Dann fängt er zur Unterstützung an, den Cher-Part mitzusingen:
»I tell you this, / because I know, / protect what’s dear, / don’t trade your soul.«
Wieder und wieder drückt er dabei meine Hand, als könne er mich damit aus meiner Schockstarre befreien. Aber es hilft nichts, wie ein hypnotisiertes Kaninchen stehe ich auf der Bühne und starre angsterfüllt in die Menge. Vor meinen Augen verschwimmt alles, vermutlich falle ich wirklich gleich in Ohnmacht.
Martin trällert ein weiteres Mal den Refrain.
»Alles, was du kannst«,
übersetze ich in meinem Kopf automatisch mit,
»alles, was du kannst, du musst dieses Leben nehmen und es auch leben. Alles, was du kannst, alles, was du kannst.«
Und ich? Ich kann eben
nicht.
Ich kann’s nicht, ich will runter von dieser Bühne, raus aus dieser Bar, weg von diesem ganzen Seminar! Für meinen Zustand gibt es nur noch ein einziges Wort: PANIK !
Ehe ich selbst verstehe, wie mir geschieht, bin ich auch schon vom Podest gesprungen, taumele durch den Raum, schlage auf dem Weg zum Ausgang fast zweimal lang hin und erreiche schließlich keuchend die Tür.
Nahezu hysterisch schnappe ich draußen nach Luft und bekomme gleichzeitig einen Hustenanfall, während mir heiße Tränen in Sturzbächen über die Wangen laufen. Es ist so peinlich, es ist so dermaßen
megapeinlich!
Alle sind locker und fröhlich, nur ich nicht! Ich bin die verspannte, spießige Stella, ich bin
genau so,
wie meine Kollegen mich sehen. Ich schluchze laut und tue mir in diesem Moment ziemlich doll selbst leid.
»Stella?« Eine Hand legt sich auf meine Schulter, ich fahre herum. David steht direkt hinter mir und bedenkt mich mit einem besorgten Blick. »Alles in Ordnung?«
»Was soll denn nicht in Ordnung sein?«, bringe ich keuchend und hustend hervor. »Mir geht’s bestens, siehste doch!«
»Es tut mir wirklich leid.« Er klopft mir beinahe zärtlich auf die Schulter. »Ich wusste
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