Wunschkonzert: Roman (German Edition)
irgendwelchen Showcases so dermaßen die Kante geben mussten, dass sie sich total danebenbenommen haben. Außerdem denke ich daran, wie ich im Atlantic aus lauter Wut über Martin einen über den Durst getrunken habe. Nein, das lasse ich lieber – das hier sieht zwar aus wie ein lustiger Kneipenabend, aber immerhin ist mein Chef dabei!
Nach Tobias und Jenny tritt überraschenderweise David Dressler himself ans Mikrofon, was lautes Gejohle und Gepfeife auslöst. Einerseits wundert es mich ein bisschen, dass er mitmacht – andererseits ist es natürlich auch irgendwie logisch, dass er singt, wenn er uns schon hierherschleppt. Die ersten Takte von
Hard for me to say I’m sorry
von Chicago erklingen – und es pustet mich fast weg, als David zu singen anfängt. Der Mann hat eine absolute Hammerstimme! Und die Tatsache, dass es sich um eines meiner absoluten Lieblingslieder handelt – was ich freiwillig aber nie zugeben würde, denn der Song ist ein echter Schmachtfetzen –, treibt mir glatt die Tränen in die Augen.
Everybody needs a little time away
I heard you say
From each other
Wie gebannt hängen wir alle an seinen Lippen. Wer hätte gedacht, dass unser neuer Chef ein derartiges Riesentalent ist? Der sollte selbst Platten aufnehmen! Als David zum Refrain kommt, flackern um mich herum überall Feuerzeuge auf, meine Kollegen wiegen sich im Takt hin und her, der ein oder andere singt sogar mit.
Hold me now, it’s hard for me to say I’m sorry
I just want you to stay
After all that we’ve been through
I will make it up to you, I promise to
And after all that’s been said and done
You’re just a part of me I can’t let go
Tosender Applaus erklingt, nachdem David die letzte Zeile gesungen hat, wir sind alle total aus dem Häuschen.
»Und, wer will als Nächstes?«, fragt er in die Runde. Ich mache mich neben Jenny so klein und unsichtbar wie möglich. Ich hatte ja schon vorhin für mich beschlossen, dass ich hier auf keinen Fall singen werde – aber nach
diesem
Auftritt gibt’s für mich erst recht keinen Weg mehr an dieses Mikrofon. Danach
kann
man ja nur schlecht aussehen!
»Ich!« Martin springt auf. Ich kann nicht umhin, für ihn Respekt zu empfinden, der traut sich ja was! Was mein lieber Kollege dann mit
Livin’ on a prayer
von Bon Jovi abliefert, ist auch ganz ordentlich – aber kein Vergleich zu dem, was David hier eben performed hat.
In den nächsten drei Stunden wird gesungen und geträllert, dass mir schon die Ohren klingeln, und während die anderen immer lustiger werden – was mit Sicherheit auch am Alkohol liegt –, werde ich immer nervöser. Denn bis auf Hilde hat irgendwann jeder am Mikro gestanden, und nachdem unsere Sekretärin nun auch ein rockiges
It’s raining men
von den Weather Girls geschmettert hat, hege ich die Befürchtung, dass der Kelch auch auf mich zukommt.
Und ich hege diese Befürchtung zu Recht.
»So, Stella ist die Letzte, die noch nicht gesungen hat«, ruft David in die Runde. »Also, dann leg mal los!« Ich schüttele heftig den Kopf.
»Nein, wirklich nicht, ich möchte nicht.«
»Ach, komm schon!«, fordert Oliver. »Das ist doch lustig!«
»Nein, bitte, echt nicht, so was liegt mir nicht.«
»Tobias liegt’s auch nicht, und es hat ihn nicht gestört«, krakeelt Natascha. Anstelle eines bösen Blickes fängt sie sich einen weiteren langen Kuss von meinem Junior A&R ein.
»Wir haben doch alle gesungen!«, versucht Hilde, mich zu motivieren. »Sei doch nicht so schüchtern.«
»Bitte«, flüstere ich nun fast. »Lasst mich doch.« Aber das scheinen meine Kollegen nicht vorzuhaben: »Stella! Stella! Stella!«, skandieren sie lauthals.
Ich bin mir sicher, dass ich jeden Moment im Erdboden versinken werde. Das Stimmengewirr wummert in meinen Ohren, mir flimmert es regelrecht vor Augen, und meine Knie sind plötzlich so butterweich, dass ich es sowieso nicht schaffen würde, nach vorn auf die Bühne zu gehen.
Da steht jetzt allerdings wieder Martin und flüstert dem Meister der Karaoke etwas ins Ohr. Die Erleichterung schwappt wie eine heiße Woge durch meinen Körper. Habe ich mal etwas gegen Martin gehabt? Nein, ich liebe ihn! Er rettet mich vor einem peinlichen Auftritt, indem er selbst noch einen Song singt, Gott sei Dank!
Der Playback- DJ wirft die Anlage an, Sekunden später ist der Raum mit Musik erfüllt. Ich horche auf, das Lied kenne ich ebenfalls, und es ist …
Nee, oder?
Ein Blick auf den Karaoke-Bildschirm an der Wand
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