Wunschkonzert: Roman (German Edition)
mir, der sich unfassbarerweise von Natascha gelöst hat. Ich drehe meinen Kopf zu ihm.
»Ja?«
»Wollte dir nur sagen«, erklärt er mit gesenkter Stimme, »dass das nicht so gemeint war und ich dich nicht ärgern wollte.«
»Dann lass es einfach«, gebe ich zurück.
»Aber das würde doch auffallen«, erwidert er.
»Auffallen?« Er nickt.
»Ja, sicher. Wenn ich auf einmal keine blöden Sprüche mache und dich nicht mehr aufziehe, merken die anderen doch sofort, dass irgendetwas los ist.«
»Aha«, erwidere ich, kann aber nicht umhin, eine gewisse Logik in dem zu erkennen, was er sagt. Trotzdem, so leicht werde ich es ihm sicher nicht machen. »Na, dann könnten sich an dir doch nun wunderbar die ersten Erfolge des Teambuildings zeigen«, erkläre ich ihm süß. »Und nun: schön den Mund gehalten und ab durch die Mitte.« Darauf weiß Tobi nichts mehr zu erwidern und er trollt sich wieder rüber zu Natascha.
Wir marschieren an diversen Lokalen vorbei, allen voran David, der ein bestimmtes Ziel zu haben scheint. Auf dem Weg kommen uns Massen von sehr jungen und sehr lauten Menschen entgegen, man merkt deutlich, dass Lüneburg eine Studentenstadt ist. Vor allem, da es für einen Montagabend unglaublich voll ist, die haben am nächsten Morgen wohl alle keine Vorlesungen. Neben einer der diversen Kneipen bleibt unser Chef stehen und dreht sich zu uns um.
»Also, Leute«, teilt er uns mit. »Da wären wir!« Ich werfe einen Blick auf das Lokal – und erstarre. Denn über dem Eingang prangt ein großes Schild mit der Aufschrift
Karaoke.
Hoffentlich wird das hier jetzt nicht das, was ich denke! Doch meine Befürchtungen werden Sekunden später bestätigt, als David ruft: »Dann lasst uns mal ein bisschen singen und Spaß haben, Leute!«
Sicher, ich kann ganz gut singen. Und ich tue es ja auch sogar mit ziemlicher Leidenschaft. Aber eben nur unter der Dusche. Im Auto. Auf einem fünftausend Hektar großen Feld, wenn weit und breit kein anderer Mensch in Sicht ist. Doch ich werde mir sicher nicht die Blöße geben, vor meinen Kollegen ein Liedchen zu trällern. Allein bei dem Gedanken daran, mit einem Mikro vor ihnen zu stehen und mich zum Affen zu machen, wird mir schlecht.
Der Rest der Truppe scheint das anders zu sehen. Kaum haben wir in der Bar an zwei großen Tischen Platz genommen und etwas zu trinken bestellt, machen sich schon alle begeistert über die Hefte her, in denen die vorhandenen Songs aufgelistet sind. Verstohlen schiele ich auf das aufgeschlagene Buch, über das sich Jenny, die neben mir sitzt, gebeugt hat. Natürlich kenne ich einen Großteil der Lieder, die meisten sind echte Klassiker wie
Eye of the Tiger
von der Gruppe Survivor,
Summer Nights
von John Travolta und Olivia Newton-John aus dem Musical
Grease
oder das unvermeidliche
Er gehört zu mir
von Marianne Rosenberg, das in der Regel zu vorgerückter Stunde von volltrunkenen Hobbysängern geschmettert wird. Grässlich, das hat mit Musik nun wirklich nicht mehr viel zu tun!
Tobias und Natascha stürzen sich als Erste aufs Mikrofon und beginnen prompt mit
Summer Nights.
Es klingt so dermaßen schauderhaft, dass es mir fast die Schuhe auszieht: Natascha trifft nicht einen einzigen Ton, Tobias hängt komplett im Takt daneben. Wie kann man sich nur so zum Löffel machen? Und, auweia, ist der unmusikalisch! So langsam verstehe ich, warum er mir neulich so begeistert seine »Neuentdeckung« präsentiert hat, der hat ja wirklich gar kein Rhythmusgefühl! Vielleicht hätte ich ihn beim Einstellungsgespräch lieber vorsingen lassen sollen? Kann aber doch keiner ahnen, dass jemand A&R-Manager werden möchte, der überhaupt kein Gefühl für Musik hat. Nach diesem Seminar hier muss ich wohl mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, da ist auf jeden Fall eine Menge Nachhilfe nötig.
Das frischgebackene Pärchen scheint’s allerdings nicht zu stören, beide brüllen laut und schief in die Mikros und amüsieren sich dabei offensichtlich ganz prächtig, und auch die anderen wippen und schunkeln vergnügt mit. Ich selbst bin kurz vorm Hörsturz.
»Bringt voll Spaß, oder?«, brüllt Jenny mir ins Ohr. Ich nicke etwas verkrampft und frage mich gleichzeitig, ob ich von meiner Apfelsaftschorle auf etwas Härteres umsteigen sollte. Nüchtern lässt sich das hier kaum ertragen. Aber leider habe ich da ein eisernes Prinzip: Im beruflichen Rahmen lasse ich komplett die Finger vom Alkohol. Dafür habe ich schon zu viele Kollegen gesehen, die sich bei
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