Wuppertod
Offenbar war Frau Heiger-Burbachs Besucherin die
geschiedene Gattin von Tickmann gewesen. Was hatte das nun wieder
zu bedeuten?
»So«,
sagte Frau Heiger-Burbach, als sie mit einem Tablett auf der
sonnenüberfluteten Terrasse erschien. Sie suchte einen Platz
auf dem Tisch, stellte das Tablett provisorisch ab und sammelte die
Modezeitschriften ein. Als sie die Karte sah, ließ sie sie so
unauffällig wie möglich verschwinden. Stefan bemühte
sich, die Geste seiner Gastgeberin galant zu
übersehen.
Dann tranken sie beide
wortlos von dem Orangensaft.
»Wie geht es
Ihrem Mann?«, brach Stefan schließlich das Schweigen.
Er brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Er ist auf dem
Wege der Besserung, hat die Intensivstation heute Vormittag
verlassen.« Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht.
»Wenn alles weiter gut läuft, dann kann er das
Krankenhaus nächste Woche vielleicht schon wieder
verlassen.«
»Sie hatten
Besuch«, wechselte er das Thema.
Frau Heiger-Burbach
nickte und wich seinem fragenden Blick aus. »Ja … eine
Geschäftsfreundin.« Sie log und das blieb Stefan nicht
verborgen. Dennoch nickte er verstehend. Er drehte das Glas in
seinen Händen. »Sie müssen jetzt die Geschäfte
Ihres Mannes
weiterführen?«
Die Heiger-Burbach
lachte. Etwas schrill, wie Stefan fand. »So würde ich es
nicht nennen. Dafür kenne ich mich in seinen Geschäften
nicht gut genug aus. Ich versuche nur, die Klienten bei der Stange
zu halten, solange er außer Gefecht gesetzt ist.« Sie
griff in die Tasche ihres leichten Sommerkleides und zog ein Foto
hervor.
Täuschte er sich,
oder hatte sie es eilig, das Thema zu wechseln?
»Hier«,
sagte sie und reichte ihm das Foto.
Es war etwas
verwackelt und zeigte einen jungen Mann. Dunkle Haare, schmales
Gesicht, Kinnbart. Der Mann trug eine graue Stoffhose und ein
weites Sweatshirt. Stefan betrachtete den Unbekannten. Er sah nicht
aus wie jemand, der Böses im Schilde
führte. Aber das hatte natürlich nichts zu sagen. Die
brutalsten Mörder und Vergewaltiger sehen aus, als
könnten sie keiner Fliege etwas zuleide tun.
Unwillkürlich dachte er an Dieter Z., den Mörder, der
bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte und im
Simonshöfchen seine lebenslange Strafe absaß. Der Mann
auf dem Foto wirkte irgendwie gehetzt, stieg offenbar gerade aus
einem Bus und bemerkte nicht, dass er fotografiert
wurde.
»Es entstand
ohne sein Wissen«, erklärte Frau Heiger-Burbach.
»Mein Bruder machte die Aufnahme in Berlin.«
Stefan nahm das Bild,
betrachtete es eingehend und wendete es. Auf der Rückseite
stand ein Name, mit einem dünnen Filzschreiber notiert. Die
Burbach tippte darauf. »Der Name des… seltsamen Fans,
der meinem Bruder nachstellte.«
Stefan studierte den
Namen. Gernot Bemberg. »Kennt die' Polizei das
Foto?«
Kopfschütteln.
»Nein. Mein Bruder wollte keine Polizei, keine
Öffentlichkeit. Er engagierte einen Privatdetektiv, der eben
diese Aufnahme schoss und den Namen des … Fans
herausbekam.«
»Und
dann?«
»Nichts. Der
Auftrag des Detektivs war damit erfüllt. So jedenfalls dachte
mein Bruder. Er gab mir das Foto bei unserem letzten Treffen in
Berlin. Für den Fall der Fälle, wie er
sagte.«
Stefan blickte seine
Gastgeberin an. »Ein Stalker?«
Sie zuckte die
Schultern. »Wir haben auch darüber nachgedacht. Mein
Mann hat recherchiert. Studien zufolge sind die meisten Stalker
männlich. Aber was macht es für einen Sinn, wenn mein
Bruder von einem männlichen Verehrer verfolgt
wurde?«
Stefan lachte.
»Glauben Sie, es gibt keine homosexuell
Stalker?«
»Nun ja,
natürlich kann auch so etwas sein«, pflichtete sie ihm
bei. »Dennoch. Ich glaube nicht, dass wir es bei ihm mit
einem Stalker zu tun haben.«
»Wie kommen sie
darauf?« Stefan hatte das Glas geleert und stellte es auf den
Tisch zurück. Er lehnte sich in seinen Stuhl und blinzelte in
die Sonne.
»Es gab keine
Drohungen, keine Telefonanrufe, nichts.« Sie kehrte die
Handflächen nach oben. »Das ist nicht normal. Ein
Stalker vergöttert sein Idol, bis zu dem Moment, in dem diese
Liebe in Hass umschlägt. Und dann wird es gefährlich
für das Opfer. Zerstochene Reifen am Auto, anonyme Anrufe,
Beleidigung, Psychoterror, was weiß ich.« Sie zuckte
die Schultern. »Nichts davon ist passiert. Der Stalker war
einfach immer nur dort, wo mein Bruder auftauchte. Wo er arbeitete,
wo er lebte.«
»Ständige
Präsenz als eine Variante des Terrors«, überlegte
Stefan. »Ein eigenartiger Liebesbeweis - wenn
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