. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
bewahren könnte … Die Sonne verschwand, und es war auf einmal kühl. Um halb sieben hörte sie das Knirschen von Kies, als David mit seinem Rover die Auffahrt zur Garage hochfuhr.
Es war schon dunkel, als es draußen an der Haustür klingelte. Sheila Phillipson ging, um zu öffnen. Vor ihr stand ein schlanker, nicht sehr großer Mann. Sie sah ihn fragend an. Die hellen Augen und der klar geschnittene, empfindsame Mund gefielen ihr. Als er sich vorstellte, war sie überrascht. Sie fand, eine so kultivierte Stimme passe nicht zu einem Polizeibeamten.
Ungeachtet Morses Protesten, der lebhaft beteuerte, daß Tom und Jerry sein Lieblingsprogramm sei, wurde der Fernseher sofort ausgeschaltet und die Kinder nach oben ins Bett geschickt. Sie ärgerte sich, daß sie sie ausgerechnet heute so lange hatte aufbleiben lassen; jetzt lagen überall noch ihre Sachen herum. Entschuldigungen murmelnd sammelte sie hastig alles ein und brachte es hinaus. Als sie zurückkam, stand ihr Besucher vor einem der Regale und betrachtete mit großem Interesse ein gerahmtes Foto, das über dem Sekretär hing.
»Das sieht aus wie ein Pressefoto.«
»Ja, das ist es auch. Als Donald – ich meine, mein Mann – damals hier anfing, da haben wir ein großes Fest gegeben. Das ganze Kollegium war eingeladen, mit den dazugehörigen Ehepartnern, Sie wissen schon. Die Oxford Mail hat einen Reporter geschickt, und der hat das Bild da aufgenommen. Er hat an dem Abend auch noch andere Aufnahmen gemacht. Hat ziemlich viel fotografiert.«
»Haben Sie die anderen Fotos noch?«
»Ja, ich glaube schon. Wollen Sie sie sehen? Mein Mann muß gleich kommen. Er nimmt gerade ein Bad, aber ich habe ihm Bescheid gesagt.«
Sie kramte in einer Schublade und reichte Morse dann fünf Hochglanzbilder in Schwarzweiß. Ihn interessierte vor allem das Gruppenfoto: die Herren in Dinnerjackets mit schwarzen Fliegen, die Damen in langen Kleidern. Fast alle lächelten.
»Kenn Sie ein paar der Lehrer?« fragte sie.
»Ja, zwei oder drei.«
Er sah noch einmal genau hin. »Eine wunderbar scharfe Aufnahme.«
»Ja, das finde ich auch.«
»Ist Acum hier mit drauf?«
»Acum? Ja – ich denke doch. Er ist vor zwei Jahren weggegangen. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, auch an seine Frau.« Sie deutete mit dem Finger auf ein Paar – einen jungen Mann mit einem lebendigen, wachen Gesicht, der einen Kinnbart trug, und die junge Frau neben ihm, die sich bei ihm eingehängt hatte. Sie hatte eine fast knabenhafte Figur und schulterlange blonde Haare. Nicht unattraktiv, aber ein wenig streng. Was jedoch vor allem störte, war ihre unreine Haut.
»Sie sagten, Sie könnten sich noch gut an sie erinnern?«
Sheila antwortete nicht gleich. Es schien, als lausche sie dem gurgelnden Geräusch des abfließenden Badewassers. Aus ganz unerklärlichen Gründen hatte sie plötzlich einen Schauder im Rücken verspürt. Wie damals als Kind, als sie für ihren Vater hatte ans Telefon gehen müssen und der Anrufer ihr Fragen gestellt hatte, merkwürdige, beunruhigende Fragen …
Ein frisch gebadeter Phillipson betrat lächelnd das Zimmer. Er äußerte sein Bedauern, daß Morse habe warten müssen, und Morse seinerseits entschuldigte sich für sein unangemeldetes Eindringen. Sheila beobachtete ihren Austausch von Höflichkeiten, und die vertraute Alltäglichkeit dieses Vorgangs beruhigte sie. Sie erkundigte sich, ob sie Tee oder lieber Kaffee wollten. Da alkoholische Getränke offenbar gar nicht zur Diskussion standen, entschied Morse sich für Kaffee, und Phillipson schloß sich ihm an.
»Ich bin gekommen, um von Ihnen etwas über Acum zu erfahren«, sagte Morse ohne Umschweife. »Was können Sie mir über ihn sagen?«
»Über Acum? Eigentlich nicht besonders viel. Er ist nach meinem ersten Jahr hier weggegangen. Hat Französisch unterrichtet. Sehr qualifizierter Mann. Universitätsabschluß mit Zwei, soviel ich weiß. Er hat in Exeter studiert.«
»Und was wissen Sie über seine Frau?«
»Mrs. Acum war auch Französischlehrerin. Die beiden haben sich an der Universität kennengelernt. Sie hat sogar mal bei uns unterrichtet, als einer der Lehrer längere Zeit krank war. Allerdings nicht gerade erfolgreich.«
»Wieso?«
»Na, die Klasse, die sie hatte, war nicht ganz ohne. Einige ziemliche Rabauken dabei. Sie ist mit ihnen nicht fertig geworden.«
»Sie meinen, sie sind ihr auf der Nase herumgetanzt?«
»Das ist noch viel zu sanft ausgedrückt. Sie haben ihr die Hosen
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