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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Hein
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persönlichen Kontakt. Der Schreiber nannte sich bruehwuerfel69 und sagte, ihm sei aufgefallen, dass ich ziemlich viele Fragen hätte, Fragen, die manchen Leuten garantiert nicht in den Kram passen würden. Ob wir uns mal treffen wollten? Aus purer Antriebslosigkeit schrieb ich ihm nicht zurück.
    Ein paar Tage später meldete sich bruehwuerfel69 wieder. Er schrieb, dass er sich nicht darüber wundern würde, keine Antwort von mir zu bekommen, er kenne diese Lethargie, habe selbst darunter gelitten. Beiläufig erwähnte er, jeden Montag gegenvierzehn Uhr im letzten McDonald’s der Stadt zu sein.
    Am Montag darauf zögerte ich zuerst, einen Termin hatte ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemeistert. Aber die Neugier brachte mich dann schließlich doch ins Schnellrestaurant. Sie kennen McDonald’s sicher, Herr Kommissar, in unserer Kindheit gab es diese Imbisstempel ja noch an jeder Straßenecke. Meine Güte, wie lange ich dort schon nicht mehr gewesen war! Ich dachte daran, wie ich als kleiner Junge mit meinen Eltern dort war. Meine Erinnerungen an den Ort sind vor allem hell: die sauber gewischten Tische, das Neonlicht, die freundlichen Uniformen und das Spielzeug in bunten Plastikfarben.
    Mit dem Ort meiner Kindheit hatte das heruntergekommene Restaurant an der Hauptstraße natürlich fast nichts mehr zu tun. McDonald’s hatte großen Schaden durch die vegetarische Krise genommen, das Unternehmen schon zum dritten Mal den Besitzer gewechselt, außer dem Namen war nichts mehr übrig geblieben vom Glanz vergangener Zeiten. Offensichtlich waren weder das Mobiliar noch defekte Neonröhren in den letzten zwanzig Jahren gewechselt worden, sodass jetzt zwielichtige Gestalten an heruntergekommenen Tischen im Halbdunkel saßen. Die Werbeplakate waren vergilbt und der tätowierte Mann hinter dem Tresen sah vor allem robust aus. Dennoch war das Gefühl beim Eintreten vertraut, was wohl vor allem an dem heimeligen Duft von totem, durchgedrehtem und in Fett gebratenem Kuhfleisch lag.
    Gleich nach meinem Eintreten erhob sich ein Mann von seinem Tisch und sprach mich an. Sie wollen wissen, wie er mich so schnell erkennen konnte, Herr Kommissar? Das genau fragte ich ihn als Erstes. Ganz einfach: die graue Haut, der leere Blick, der schlurfende Gang und die ungepflegten Klamotten. So sehen nur Vegetarier aus, sagte der Brühwürfel. Und Vegetarier verirrten sich sonst nur selten zu McDonald’s.
    Er wollte sich mit mir treffen, begann er das Gespräch, weil er anhand meiner Fragen bemerkt habe, dass ich ein Suchender sei. Er habe ein paar Antworten zu bieten. Ich nickte nur matt. Wie lange ich denn schon dabei sei, wollte er wissen. Ein paar Wochen oder Monate? Ratlos schaute ich ihn an. Als es losging, war es Weihnachten gewesen, ich vermutete, dass es etwa zwei Jahre waren. Der Brühwürfel schaute mich entsetzt an. Das muss schrecklich sein, sagte er. Wieder konnte ich nur matt nicken.

    Der Brühwürfel hieß in Wirklichkeit Bert und begann zu erzählen: Ihn hätten sie auch gehabt, die Schweine. Nein, Schweine sei eigentlich viel zu gut für diese Verbrecher, Schweine seien soziale, wohlschmeckende Tiere, aber diese Grasfresser seien höchstens Parasiten. Diese Spulwürmer, sie hätten ihn beinahe gebrochen, aber jetzt sei er wieder da. Und er habe sich vorgenommen, möglichst viele da wieder herauszuholen. Mich wollte er auch da herausholen und fragte, ob ich mir helfen lassen will.
    Helfen – das Wort kam mir irgendwie bekannt vor. Ich helfe, du hilfst, er, sie, es hilft. Aber was hatte es mit mir zu tun? Warum wollte Bert Brühwürfel mir helfen? War er wahnsinnig oder nur eine Illusion und ich war wahnsinnig geworden? Er sagte, ich solle doch wenigstens mal eine Fleischbrühe zu mir nehmen, dann könne ich wieder einen klaren Gedanken fassen. Nein, wehrte ich routiniert ab, ich bin Vegetarier. Es war zum Automatismus geworden, ich entschuldigte mich bei Brühwürfel.
    Warum ich denn Vegetarier sei, wollte er wissen. Na, wegen der Tiere, sagte ich. Und wegen der Umwelt.
    Aha! Was ist denn mit den Tieren? Bert fing an sich zu ereifern, ich beobachtete ihn mit verwunderterDistanz. Früher hatte ich auch so werden können. Als ich noch Fleisch gegessen hatte, konnte ich mich auch noch ereifern.
    Na, die werden jetzt nicht brutal geschlachtet in Tierfabriken und so, schlug ich vor.
    Woher ich das wisse, wollte Bert wissen. Natürlich wusste ich es nicht, war es nur Hörensagen. Ich war immer davon ausgegangen, dass die

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