Wurzeln
mit roten Haaren; drei kleine toubobs winkten dem rollenden Wagen zu. Als sie Kunta erblickten, kreischten sie vor Lachen und zeigten auf ihn; er starrte sie an wie junge Hyänen. Sie rannten eine Weile neben dem Wagen her, und Kunta begriff, daß er mit eigenen Augen eine richtige toubob- Familie gesehen hatte.
Noch zweimal sah Kunta große, weiße, abgelegene toubob- Häuser, ähnlich dem, vor dem der Wagen abends zuvor gehalten hatte. Beide waren so hoch wie zwei Häuser, eines auf dem anderen; vor beiden standen dicke weiße Pfosten, fast so hoch wie Bäume; etwas entfernt sah man kleine, dunkle Hütten, wo wahrscheinlich die Schwarzen wohnten, und ringsumher erstreckten sich endlose Baumwollfelder, alle erst kürzlich abgeerntet. Hier und da sah man noch weiße Baumwollflocken am Boden.
Unterwegs überholte der rollende Kasten zwei seltsam aussehende Wanderer. Kunta hielt sie zuerst für Schwarze, doch beim Näherkommen sah er, daß ihre Haut rötlichbraun war. Ihr langes, schwarzes Haar fiel ihnen zu einem Seil geflochten auf den Rücken. Sie schritten schnell aus, Schuhe und Lendentücher schienen aus Häuten gemacht, und sie trugen Bogen und Pfeile bei sich. Sie waren keine toubobs , sie waren aber auch nicht aus Afrika; sie rochen sogar anders. Was waren das für Menschen? Keiner von ihnen schien den rollenden Kasten zu bemerken, der sie in Staub einhüllte.
Bei Sonnenuntergang kehrte Kunta sich nach Osten. Als er sein stummes Gebet zu Allah verrichtet hatte, wurde es dunkel. Weil er schon den zweiten Tag hungerte, fühlte er sich matt und streckte sich am Boden des rollenden Kastens aus. Es war ihm einerlei, was um ihn her vorging.
Als der Kasten eine Weile später anhielt, richtete Kunta sich aber doch auf und sah sich um. Der Kutscher stieg ab, hängte Lichter beiderseits des Kastens auf, und schon ging es weiter. Erst nach geraumer Zeit sagte der toubob etwas, und der Schwarze antwortete darauf; es war ihre erste Unterhaltung seit der Abfahrt. Wieder hielt der Kasten an. Der Kutscher stieg ab und warf Kunta eine Decke hin. Kunta achtete nicht darauf. Der Schwarze stieg wieder auf, er und der toubob zogen Decken über sich, und die Fahrt ging weiter.
Kunta fror zwar bald, doch verbot sein Stolz ihm, nach der Decke zu greifen. Er dachte: sie bieten mir eine Decke an, nehmen mir aber nicht die Ketten ab, und einer von meinem eigenen Volk läßt es nicht nur geschehen, sondern hilft dem toubob noch bei seinem schmutzigen Geschäft. Hier gibt es nur eines: Flucht, und wenn ich dabei sterbe! Er wagte nicht, davon zu träumen, daß er Juffure je wiedersehen würde, doch falls es ihm glückte, sollten alle in Gambia erfahren, wie es im Land der toubobs wirklich aussah.
Er war vor Kälte fast gefühllos, als der rollende Kasten plötzlich in einen holprigen kleinen Nebenweg bog. Er setzte sich mit Mühe auf und spähte in die Dunkelheit. Da – wieder eines dieser großen Häuser, matt weiß in der Ferne. Wie am Abend zuvor fragte er sich ängstlich, was ihm nun wohl widerfahren würde. Diesmal eilte niemand zur Begrüßung herbei, Kunta roch weder toubobs noch Schwarze.
Als der Kasten schließlich anhielt, sprang der toubob knurrend ab und machte ein paar Kniebeugen, um seine Muskeln zu entkrampfen. Er gab dem Kutscher Anweisungen, machte eine Kopfbewegung zu Kunta hin und ging zum Haus.
Noch immer waren keine Schwarzen erschienen. Der Kasten rollte zu den nahe gelegenen Hütten. Kunta stellte sich gleichmütig, war innerlich aber sehr gespannt und hatte alle Schmerzen vergessen. Seine Nase nahm den Geruch von Schwarzen wahr, doch zeigten sich keine. War das nun günstig für ihn oder nicht? Der Schwarze hielt bei den Hütten, stieg schwerfällig ab und stapfte mit dem Licht in der Hand auf die nächst gelegene Hütte zu. Er stieß die Tür auf. Kunta wollte zu fliehen versuchen, sobald der Kutscher in die Hütte ging, doch ging der nicht hinein, sondern kam bereits zurück. Er löste Kuntas Kette und ging mit dem Kettenende in der Hand um den Kasten. Noch immer zögerte Kunta. Der Schwarze riß an der Kette, rief Kunta etwas zu und beobachtete aufmerksam, wie sein Gefangener sich schwerfällig hochrappelte. Kunta stellte sich schwächer, als er war, und tat recht unbeholfen. Ganz wie er gehofft hatte, beugte der Schwarze sich ungeduldig vor und zerrte Kunta vom Wagen. Sein vorgestrecktes Knie bremste Kuntas Fall. Nun aber schnellte Kunta in die Höhe und packte den Hals des Kutschers so unerbittlich wie
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