Wurzeln
wahrnahm, wie man sich um ihn drängte. Man zog ihm die Lippen auseinander, um sein Gebiß zu begutachten, und betastete ihn mit bloßen Händen unter den Achselhöhlen, an Rücken und Brust, sogar die Geschlechtsteile. Die ihn so begutachtet hatten, traten nun zurück und riefen abwechselnd:
»Dreihundert Dollar! … Dreifünfzig!« Der ausrufende toubob lachte geringschätzig. »Fünfhundert! … sechs!« Der Ausrufer schrie verächtlich: »Das ist ein ganz junger Nigger, ein Prachtexemplar! Sagt da jemand siebenfünfzig?«
»Siebenfünfzig!« rief jemand.
Er wiederholte den Zuruf nochmals und rief dann: »Acht!«, bis einer aus der Menge das gleiche Wort zurückrief. Schon rief ein anderer: »Achtfünfzig!«
Dabei blieb es. Der Ausrufer machte Kuntas Kette los und hielt sie einem toubob hin, der durch die Menge näher kam. War dies etwa die Gelegenheit zur Flucht? Wohl kaum. Seine Beine hätten Kunta nicht gehorcht.
Er sah, daß ein Schwarzer dem toubob folgte, dem der Ausrufer seine Kette übergeben hatte. Kunta flehte diesen Schwarzen, der gewiß ein Wolof war, mit den Blicken an: Mein Bruder, du kommst aus meinem Land … doch der Schwarze achtete nicht darauf, sondern riß so heftig an der Kette, daß Kunta ihm stolpernd durch die Menge folgen mußte. Einige toubobs lachten schadenfroh und stießen mit Stöcken nach ihm, doch schließlich gelangten sie zu einem großen Kasten auf vier Rädern mit einem eselähnlichen Tier davor, deren einige er schon nahe der Ufermauer gesehen hatte.
Knurrend packte der Schwarze Kunta um die Hüften und hob ihn über die Seitenwand in den Kasten hinein. Kunta ließ sich auf den Boden fallen und hörte, wie das freie Ende seiner Kette an der Vorderseite des Kastens befestigt wurde.
Zwei große Säcke, die, dem Geruch nach zu urteilen, Mais enthielten, wurden neben Kunta in den Kasten geworfen. Er kniff die Augen fest zu, denn er wollte nichts mehr sehen, vor allem nicht diesen verhaßten schwarzen slati.
Nach einer Weile roch Kunta, daß der toubob angelangt war. Der toubob sagte etwas, dann stiegen er und der Schwarze auf den Sitz, der unter ihrem Gewicht knarrte. Der Schwarze stieß einen kurzen Laut aus und schnickte mit einem Riemen. Das Tier zog an, und der Kasten rollte los.
Kunta war ganz benommen und hörte nicht einmal, wie die an seiner Fußschelle befestigte Kette am Boden des Kastens rasselte. Er ahnte nicht, wie weit sie sich schon fortbewegt hatten, als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er öffnete die Augen einen Spalt breit, um die Kette näher zu betrachten. Ja, sie war leichter als die auf dem Kahn; wenn er seine ganze Kraft zusammennahm, konnte er sie vielleicht von dem rollenden Kasten losreißen.
Kunta betrachtete verstohlen die Rücken der beiden vorn auf der Bank – der toubob saß steif aufgerichtet am einen Ende, der Schwarze vornübergebeugt am anderen. Beide blickten geradeaus, als wäre ihnen nicht bewußt, daß sie auf derselben Bank saßen. Unter dieser, in einem dunklen Winkel, schien die Kette befestigt zu sein. Kunta beschloß, mit dem Sprung in die Freiheit noch zu warten.
Der Maisgeruch aus den Säcken war zwar stark, er roch aber auch den toubob und seinen schwarzen Kutscher, und bald darauf roch er andere Schwarze ganz in der Nähe. Er richtete den schmerzenden Körper an der rauhen Wand des Kastens auf, hatte aber Angst, den Kopf hinauszustrecken, und so sah er sie nicht.
Als er zurücksank, drehte der toubob gerade den Kopf, und ihre Augen begegneten sich. Kunta fühlte sich starr und schwach vor Angst, der toubob jedoch machte ein völlig ausdrucksloses Gesicht und kehrte ihm gleich wieder den Rücken zu. Durch die Gleichgültigkeit des toubob ermutigt, setzte Kunta sich abermals auf – diesmal ein wenig höher –, als er in der Ferne so etwas wie Gesang hörte, ein allmählich lauter werdendes Singen. Nicht weit voraus sah er einen toubob auf einem Tier reiten wie jenes, das den rollenden Kasten zog, und vor ihm gingen im Gänsemarsch etwa zwanzig dunkelhäutige Menschen, schwarze und braune, deren Handschellen an einer Kette befestigt waren, die ihrerseits an dem Tier festgemacht war.
Kunta kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Von zwei ganz bekleideten Frauen abgesehen waren es Männer mit nacktem Oberkörper, und sie sangen etwas, das sehr traurig klang. Er hörte angestrengt hin, konnte aber nichts verstehen. Als der Kasten langsam an ihnen vorüberrollte, blickten weder die
Weitere Kostenlose Bücher