Wurzeln
das Pflanzen der endlosen Saatreihen. Schließlich erhitzte die Sonne den Boden so sehr, daß er Kunta unter den Füßen brannte.
Kunta hoffte, daß seine Wärter abermals sorglos werden und nicht mehr auf ihn achten würden, spürte jedoch, daß die Schwarzen ihn beobachteten, wenn der Aufseher und andere toubobs nicht in der Nähe waren. Es galt jetzt, ihre Aufmerksamkeit einzuschläfern. Vielleicht konnte er sich den Umstand zunutze machen, daß toubobs die Schwarzen nicht als Menschen, sondern als Dinge betrachteten. Er beschloß, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Obwohl er sich dafür verachtete, zwang sich Kunta dazu, in Gegenwart der toubobs so zu tun wie die anderen Schwarzen. Zwar brachte er es nicht über sich, zu grinsen und zu katzbuckeln, doch er zeigte sich willig, sogar eifrig. Er hatte inzwischen weitere Wörter der toubob -Sprache gelernt und hörte stets aufmerksam zu, wenn in seiner Nähe gesprochen wurde, draußen auf dem Feld wie auch abends bei den Hütten. Zwar sprach er selber nichts, machte aber deutlich, daß er vieles verstehen konnte.
Die Baumwolle wuchs schnell hier im Land der toubobs. Bald waren ihre Blüten zu harten grünen Kapseln geworden und aufgeplatzt, gefüllt mit flauschigen Kugeln. Die Felder waren, so weit Kuntas Blick reichte, ein einziges, endloses Meer von Weiß. Die Felder von Juffure hätten sich daneben wie kleine Beete ausgenommen. Zur Erntezeit blies das Horn früher als sonst, und die Peitsche des Aufsehers knallte schon, wenn die »Sklaven«, wie sie genannt wurden, noch auf ihrem Lager ruhten.
Kunta merkte bald, daß der lange Leinwandsack, der sich langsam mit der Baumwolle füllte, die er in endloser Folge handvollweise aus den Kapseln pflückte, ihn weniger drückte, wenn er ihn in gebückter Haltung hinter sich herschleifen ließ. War der Sack voll, zerrte er ihn zu dem Wagen, der am Ende der Reihe wartete. Kunta füllte diesen Sack zweimal am Tag, was ungefähr dem Durchschnitt entsprach; allerdings pflückten einige die Baumwolle so schnell, daß ihre Hände dabei förmlich zu flattern schienen; wenn abends das Horn blies, waren ihre Säcke mindestens dreimal in den Wagen entleert worden, und dafür wurden sie von den anderen gehaßt und beneidet. Beladene Baumwollwagen rollten zurück zur Pflanzung, doch die Wagen mit Tabak, der auf benachbarten Feldern geerntet wurde, fuhren an einen unbekannten, entfernten Bestimmungsort. Vier Tage vergingen, bis so ein Wagen leer zurückkam. Kunta sah auch Tabakwagen von anderen Pflanzungen die Hauptstraße entlangrollen, manche von vier Mauleseln gezogen. Er wußte nicht, wohin die Wagen fuhren, nur, daß sie einen langen Weg zurücklegten, denn er sah, wie erschöpft Samson und andere Fahrer bei der Rückkehr von einer solchen Fahrt waren.
Vielleicht fuhren sie weit genug, ihn in die Freiheit zu bringen! Dieser Gedanke erregte Kunta so sehr, daß er während der nächsten Tage innerlich keine Ruhe fand. Sich auf einem Wagen der eigenen Farm zu verstecken war ausgeschlossen, das konnte nicht unbemerkt bleiben. Es mußte schon ein Wagen sein, der, von einer anderen Farm kommend, die große Straße entlangrollte. Abends, auf dem Weg zur Latrine, kam Kunta an eine Stelle, von der aus er die große Straße im Mondlicht liegen sah. Ja, tatsächlich – die toubob- Wagen fuhren auch bei Nacht. Die flackernden Lampen der Wagen wurden kleiner, bis sie schließlich in der Ferne verschwanden. Kunta konzentrierte sich nun ganz auf seinen Plan, und nichts, was die Tabakwagen betraf, entging seinen Blicken. Beim Pflücken der Baumwolle flogen seine Hände geradezu, und er zwang sich sogar zu grinsen, wenn der Aufseher vorbeiritt. Dabei malte er sich aus, wie er nachts auf einen beladenen Wagen springen und sich unter dem Tabak verbergen würde, ohne daß die Kutscher etwas merkten, geschützt durch die Dunkelheit und die bergehoch getürmten Tabakblätter. Er dachte voller Abscheu daran, daß er die heidnische Pflanze berühren und riechen mußte, der er bisher immer aus dem Weg gegangen war, doch wenn er anders nicht entfliehen konnte, würde Allah ihm wohl vergeben.
Kapitel 49
Eines Abends erlegte Kunta hinter der Latrine mit einem Stein eines der Kaninchen, von denen es im nahen Wald wimmelte. Er schnitt das Fleisch sorgfältig in Streifen und trocknete es, wie er es im jujuo gelernt hatte, denn er mußte auf der Flucht zu essen haben. Danach schliff er mit einem glatten Stein die rostige Messerklinge, die er
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