Wurzeln
hervorgeholt.
In Bells Töpfen und Pfannen drüben im großen Haus blubberte und brutzelte es von Jamswurzeln, Kaninchen- und Schweinebraten und noch vielen anderen Gerichten, zubereitet aus dem Fleisch von Tieren, die Kunta zum erstenmal in seinem Leben erwähnen hörte: Truthähne, Waschbären, Opossums und dergleichen. Zwar zögerte er noch, doch verführten die würzigen Gerüche ihn doch bald dazu, von allem zu kosten – außer dem Schweinefleisch. Auch lag ihm nichts an den alkoholischen Getränken, die Masser Waller den Schwarzen versprochen hatte: zwei Fässer Apfelwein, ein Faß Wein und ein Fäßchen Whiskey waren in seinem Wagen herbeigeschafft worden. Kunta merkte, daß ein Teil davon in aller Stille schon vorher getrunken wurde, wobei der Fiedler kräftig mitzuhalten schien. Während die Trinker ihre Possen machten, rannten die schwarzen Kinder mit getrockneten Schweinsblasen an Stöcken umher, die sie immer näher ans offene Feuer hielten, bis sie zum allgemeinen Vergnügen mit lautem Knall zerplatzten. Kunta fand das alles unglaublich albern und abstoßend.
Als der große Tag endlich da war, machte man mit Essen und Trinken erst richtig ernst. Masser Waller hatte Gäste zum Mittagessen, und als die Sklaven vor dem großen Haus zu singen begannen, schob er das Fenster auf und kam gleich darauf mit den anderen Weißen heraus und hörte zu. Offenbar gefiel ihnen sehr, was sie hörten. Später ließ der Masser dem Fiedler durch Bell ausrichten, er solle kommen und seinen Gästen aufspielen.
Kunta sah ein, daß die Schwarzen tun mußten, was man von ihnen verlangte, aber warum machte ihnen das soviel Spaß? Und wenn die Weißen ihre Sklaven so gern hatten, daß sie ihnen Geschenke gaben, warum machten sie sie dann nicht wirklich glücklich und ließen sie frei? Aber manche dieser Schwarzen hätten wohl, verhätschelten Haustieren gleich, nicht in Freiheit überleben können, wie Kunta es sich immerhin noch zutraute. Aber war er wirklich besser als sie? War er so ganz anders? Es ließ sich nicht mehr bestreiten, daß er sich ihrer Lebensweise anpaßte. Am meisten beunruhigte ihn die immer enger werdende Freundschaft mit dem Fiedler. Daß dieser trank, störte Kunta sehr, doch hatte ein Heide wohl das Recht, sich wie ein solcher zu benehmen. Auch hörte er ihn ungern prahlen, glaubte aber, daß alles, dessen der Fiedler sich rühmte, der Wahrheit entsprach. Die krude, spöttische Ausdrucksweise des Fiedlers war ihm ebenfalls zuwider; und daß der Fiedler ihn »Nigger« nannte, paßte Kunta nicht, weil es ein abfälliges Wort der Weißen für die Schwarzen war. Immerhin verdankte er dem Fiedler seine Sprachkenntnisse, und dem Umgang mit ihm war es zuzuschreiben, daß Kunta sich unter den anderen Schwarzen weniger fremd vorkam. Kunta beschloß, den Fiedler noch besser kennenzulernen.
Wann immer sich die Gelegenheit bot, fragte er den Fiedler möglichst beiläufig nach Dingen, die ihm im Kopf herumgingen. Doch mußten noch zwei weitere Steine in die Kürbisflasche fallen, bevor er eines stillen Sonntagnachmittags, als niemand arbeitete, den Fiedler endlich einmal in ruhiger Stimmung antraf.
Nachdem sie sich begrüßt hatten, schwiegen sie eine Weile. Dann sagte Kunta, nur um ein Gespräch in Gang zu bringen, er habe Luther, den Kutscher des Masser, sagen hören, die Weißen redeten dauernd von »Steuern«. Was denn das eigentlich sei?
»Steuern sind Geld, das extra gezahlt werden muß zu fast allem, was die Weißen kaufen«, erwiderte der Fiedler. »Der König überm Wasser will die Steuern haben, damit er reich wird.«
Eine so knappe Antwort war für den Fiedler ungewöhnlich – er war wohl schlechter Laune. Enttäuscht blieb Kunta eine Weile stumm sitzen, dann raffte er sich zu der Frage auf, die ihm wirklich am Herzen lag: »Wo warst du eigentlich früher?«
Der Fiedler sah ihn durchdringend an und antwortete dann barsch: »Ich weiß, die Nigger hier reden über mich. Denen würde ich nie nichts erzählen, aber du bist anders.« Er funkelte Kunta an. »Und warum bist du anders? Weil du überhaupt nichts weißt! Weil sie dich verschleppt und dir den Fuß abgehackt haben, glaubst du, dir ist es schlecht gegangen. Aber du bist nicht der einzige, dem’s schlecht gegangen ist.« Seine Stimme klang zornig. »Wenn du weitersagst, was ich dir erzähle, kannst du was erleben!«
»Ich sag nichts!« versicherte Kunta.
Der Fiedler beugte sich vor und sagte leise: »Mein alter Masser in Nord-Carolina ist
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