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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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ersoffen, wo, geht keinen was an. Ich bin in der gleichen Nacht noch fort. Frau und Kinder hat er keine gehabt, also ist mir keiner nach. Ich hab mich bei Indianern versteckt, bis ich dachte, ich kann nach Virginia und weiterfiedeln.«
    »Virginia?« fragte Kunta. »Was ist das?«
    »Mann, du weißt aber auch gar nichts, wie? Virginia ist die Kolonie, wo du lebst, wenn du das Leben nennst.«
    »Was ist Kolonie?«
    »Du bist noch dümmer, als du aussiehst. Dreizehn Kolonien zusammen sind das Land hier. Südlich von hier sind die Carolinas, und oben im Norden, das ist Maryland, Pennsylvania, New York und noch welche. War nie da oben, und die meisten Nigger auch nicht. Ich hab gehört, die Weißen da oben wollen keine Sklaven und geben uns die Freiheit. Ich bin ’ne Art halbfreier Nigger. Aber einen Masser muß ich haben, sonst greifen mich die Pattroller, die Wachmänner.« Kunta verstand das nicht, ließ es aber nicht merken, weil er sich nicht noch einmal dumm schimpfen lassen wollte.
    »Hast du mal Indianer gesehn?« fragte der Fiedler.
    Kunta zögerte. »Zwei, drei.«
    »Die waren vor den Weißen hier. Die Weißen sagen, einer von ihnen, Kolumbus heißt er, hat das Land hier entdeckt. Aber wenn die Indianer schon hier waren, hat er’s doch nicht entdeckt, oder?« Der Fiedler erwärmte sich für sein Thema. »Die Weißen meinen, wer wo vor ihnen war, zählt nicht. Für die sind alle andern Wilde.«
    Offensichtlich stolz auf seine geistreiche Feststellung, hielt er einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Hast du mal Indianerzelte gesehn?« Kunta schüttelte den Kopf. Der Fiedler hielt drei Finger gespreizt nach unten und legte einen Lappen darum. »Die Finger sind Pfosten, und der Lappen, das sind Häute. Da drin wohnen sie.« Er lächelte. »Du glaubst vielleicht, von Afrika her weißt du alles übers Jagen und so. Aber keiner kann das so gut wie ’n Indianer. Was der mal gesehn hat, ist alles in seinem Kopf. Wie ’ne Landkarte. Aber die Indianerfrauen tragen ihre Babys auf dem Rücken wie die Frauen bei euch in Afrika.«
    Es überraschte Kunta, daß der Fiedler dies wußte. Der Fiedler grinste, weil er ihm das ansah, und fuhr in der Lektion fort. »Manche Indianer hassen Nigger, andre mögen uns. Nigger und Land, darüber streiten sie am meisten mit den Weißen. Die Weißen wollen den Indianern ihr Land wegnehmen und sind wütend auf Indianer, die Nigger verstecken!« Er blickte forschend in Kuntas Gesicht. »Ihr Afrikaner und die Indianer habt den gleichen Fehler gemacht – ihr habt die Weißen reingelassen. Habt ihnen zu essen und ein Dach überm Kopf gegeben, und hopp! haben sie euch rausgeworfen oder eingesperrt!«
    Der Fiedler machte abermals eine Pause, dann brach es plötzlich aus ihm heraus: »Afrikanische Nigger! Fünf, sechs von deiner Sorte hab ich gekannt! Möcht wissen, weshalb ich mich überhaupt mit dir abgebe. Kommt hier rüber und glaubt, die Nigger hier müßten so sein wie ihr. Woher sollen wir was von Afrika wissen? Wir waren nie da und kommen auch nie hin!« Er schwieg böse.
    Um keine weiteren Zornesausbrüche zu provozieren, ging Kunta bald darauf wortlos hinaus, tief verstört von dem, was der Fiedler gesagt hatte. Doch je länger er in seiner Hütte darüber nachdachte, desto leichter wurde ihm zumute. Der Fiedler hatte die Maske abgenommen; das hieß, er fing an, Kunta zu vertrauen. Seit er verschleppt worden war, seit drei Regen also, kam Kunta erstmals einem Menschen näher.

Kapitel 55
    Bei der Gartenarbeit in den folgenden Tagen wunderte Kunta sich immer wieder darüber, wie lange es gedauert hatte, bis ihm klargeworden war, wie wenig er vom Fiedler wußte. Höchstwahrscheinlich verbarg auch der alte Gärtner, den er jetzt ab und zu besuchte, eine Menge vor ihm. Und Bell kannte er kaum besser, obwohl sie täglich miteinander sprachen – genauer gesagt, Kunta hörte hauptsächlich zu, während er aß, was sie ihm vorsetzte. Es ging dabei immer nur um belanglose, unpersönliche Dinge. Er erinnerte sich jetzt, daß sowohl Bell wie auch der Gärtner gelegentlich Anspielungen gemacht, aber nicht zu Ende geredet hatten. Beide waren bedächtig und vorsichtig, und ihm schien, besonders ihm gegenüber. Er wollte sie unbedingt besser kennenlernen. Als er den alten Gärtner das nächste Mal besuchte, begann er auf weitschweifige Mandinka-Art das Gespräch, indem er nach etwas fragte, das er vom Fiedler gehört hatte: »Was ist Pattroller?«
    »Armseliges weißes Gesindel, was keine

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