Wurzeln
bevor sie gekocht und anschließend auf einem Holzblock mit Stöcken geschlagen wurde. Gildon, der Ledergeschirr und Schuhe machte, gerbte Kuhhäute. Nesselbahnen, die der Masser zum Kleidermachen gekauft hatte, wurden bunt eingefärbt, und ganz wie in Juffure hingen von Ranken, Büschen und Zäunen Kleidungsstücke in Rot, Gelb und Blau zum Trocknen.
Mit jedem neuen Tag wurde die Luft kälter und der Himmel grauer, und der Boden war bald von Schnee und Eis bedeckt, was Kunta ebenso scheußlich wie außergewöhnlich fand. Nicht lange, und die Schwarzen redeten aufgeregt von »Weihnachten« – das Wort hatte Kunta schon einmal gehört. Es hatte mit Singen, Tanzen, Essen und Geschenken zu tun, was ja verlockend war, aber auch mit dem weißen Allah, und deshalb nahm Kunta, obwohl er unterdessen sehr gern zu den Zusammenkünften beim Fiedler ging, sich vor, für sich zu bleiben, bis die heidnischen Festlichkeiten vorüber waren. Er verzichtete sogar auf den üblichen Besuch beim Fiedler, der ihn deshalb etwas schief ansah, aber nichts weiter sagte.
Dann kam rasch ein neuer Frühling, und wenn Kunta zwischen seinen Pflanzen im Garten kniete, dachte er daran, wie üppig die Felder von Juffure um diese Jahreszeit aussahen und wie er als Junge vom zweiten kafo in dieser fruchtbaren Jahreszeit hinter den hungrigen Ziegen hergerannt war. Hier hingegen halfen die kleinen Schwarzen die blökenden, störrischen »Schafe« einfangen, wie man diese Tiere nannte, und sie stritten sich darum, wer als nächster auf dem Kopf eines verzweifelt strampelnden Schafes sitzen durfte, dessen dichte schmutzige Wolle geschoren wurde. Der Fiedler erklärte, daß die Wolle weggebracht, gereinigt und »kardätscht« wurde, bevor die Frauen einen wollenen Faden spinnen und daraus Tuch zur Herstellung von Winterkleidung weben konnten.
Die Arbeit im Garten, das Hacken, Pflanzen, Jäten, dauerte vom Morgen bis zum Abend und nahm Kuntas Kraft ganz in Anspruch. Im Mittsommermonat, der hier »Juli« hieß, kehrten die Feldarbeiter spätabends erschöpft in ihre Hütten zurück, denn Baumwolle und Mais mußten jetzt unbedingt von allem Unkraut frei gehalten werden. Es war schwere Arbeit, doch war genügend Nahrung in den Speichern, die im vergangenen Herbst reichlich gefüllt worden waren, während um diese Jahreszeit in Juffure alle Mägen knurrten und Suppe aus Wurzeln, Maden, Gras und was man sonst fand, gekocht wurde, weil Gemüse und Früchte noch nicht reif waren.
Die letzten Erntevorbereitungen mußten bis zum zweiten »Sonntag« im Juli beendet sein. An diesem Tag hatten die Schwarzen von den meisten Plantagen in diesem Bezirk – der »Spotsylvania County« hieß – Erlaubnis, einen gemeinsamen Gottesdienst abzuhalten. Weil man wußte, daß Kunta mit dem Allah der Weißen nichts im Sinn hatte, wurde er gar nicht erst aufgefordert, sich den mehr als zwanzig Personen anzuschließen, die an diesem Sonntagmorgen auf einen Wagen stiegen, den Masser Waller ihnen zur Verfügung stellte.
Während der nächsten zwei, drei Tage wäre es wohl nicht aufgefallen, wenn Kunta einen Fluchtversuch unternommen hätte – doch wußte er, daß er nicht weit kommen würde, obwohl er jetzt wieder ganz flink auf den Beinen war. Er gestand sich das nicht gerne ein, doch war es besser, hier auf der Plantage zu leben, als nach einem mißlungenen Fluchtversuch totgeschlagen zu werden. Im tiefsten Herzen wußte er, daß er die Heimat nie wiedersehen würde, und er spürte, daß ihm etwas Kostbares und Unwiederbringliches verlorenging. Aber eine Hoffnung blieb ihm: mochte er auch die Seinen in Afrika nicht wiedersehen, konnte er doch vielleicht eines Tages Frau und Kinder haben.
Kapitel 54
Ein weiteres Jahr verging überraschend schnell, und die Steine in seiner Kalenderflasche sagten Kunta, daß er zwanzig Regen alt geworden war. Abermals war es kalt, abermals lag »Weihnachten« in der Luft. Kuntas Einstellung zu dem Allah der Weißen und der anderen Schwarzen hatte sich nicht gewandelt, doch als er sie in so froher Stimmung sah, meinte er, sein eigener Allah könnte nichts dagegen haben, daß er dem festlichen Treiben als Außenstehender zusähe.
Zwei Sklaven bekamen von Masser Waller für eine Woche Urlaub und wollten Freunde auf anderen Pflanzungen besuchen; einer sollte zum erstenmal sein neues Baby sehen. In allen anderen Hütten wurden Vorbereitungen getroffen, die im wesentlichen den Festtagskleidern zugute kamen. Auch Äpfel und Nüsse wurden
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