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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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erst schlafen, wenn sie wissen, worüber die Weißen geredet haben.«
    Von dem, was »oben im Norden« geschah, erfuhr man bruchstückweise den ganzen Sommer über und bis in den Herbst hinein. Luther wußte zu berichten, die Weißen regten sich zwar sehr wegen der Steuern auf, aber das sei nicht ihre einzige Sorge. »In manchen Gegenden gibt es doppelt soviel Nigger wie Weiße. Die Weißen haben Angst, der König überm Wasser bietet uns Niggern die Freiheit, wenn wir gegen die Weißen kämpfen.« Luther wartete, bis die verblüfften Ausrufe seiner Zuhörer verklungen waren. »Manche Weißen haben schon eine Mordsangst, schließen nachts die Türen ab und reden nicht mehr, wenn Hausnigger dabei sind.«
    Kunta grübelte wochenlang abends auf seiner Matratze über »Freiheit« nach. Er verstand darunter, daß man keinen Masser hatte, tun konnte, was man wollte, und gehen konnte, wohin man wollte. Aber es war lächerlich, anzunehmen, die Weißen, die die Schwarzen den weiten Weg über das große Wasser als Sklaven hierhergebracht hatten, würden sie je freilassen. Das würde nie geschehen.
    Kurz vor Weihnachten kamen Verwandte von Masser Waller zu Besuch, und während ihr schwarzer Kutscher in der Küche aß, versorgte er Bell mit den neuesten Nachrichten. »Ich hab gehört«, sagte er, »drüben in Georgia, da ist ein Nigger namens George Leile, dem haben die weißen Baptisten erlaubt, vor Niggern zu predigen, den Savannah River rauf und runter. Heißt sogar, er will in Savannah eine afrikanische Baptistenkirche gründen. Ist das erste, was ich von einer Niggerkirche gehört hab …«
    Bell sagte: »Ich hab schon früher von einem in Petersburg hier in Virginia gehört. Aber weißt du was Neues aus dem Norden, was da die Weißen machen?«
    »Ja, ich hab vor einiger Zeit gehört, in Philadelphia war eine große Versammlung. Sie nennen es den Ersten Kontinentalkongreß.«
    Bell sagte, das habe sie auch gehört. Sie hatte es sogar langsam und sorgfältig in Masser Wallers Virginia Gazette gelesen und ihr Wissen dann mit dem alten Gärtner und dem Fiedler geteilt. Sie als einzige wußten, daß Bell ein wenig lesen konnte. Als sie vor kurzem darüber sprachen, waren der Alte und der Gärtner beide der Meinung gewesen, man solle Kunta nichts von ihrer Fähigkeit sagen. Gewiß, er verstand, den Mund zu halten, und für jemanden aus Afrika konnte er inzwischen vieles erstaunlich gut verstehen und ausdrücken, aber sie fürchteten, er könnte noch nicht recht ermessen, wie ernst die Folgen wären, wenn der Masser erführe, daß Bell lesen konnte: er würde sie noch am selben Tag verkaufen.
    Zu Anfang des nächsten Jahres – man schrieb 1775 – war immer häufiger von den Ereignissen in Philadelphia die Rede. Verstand Kunta auch nicht alles, so war ihm doch klar, daß die Weißen auf eine Auseinandersetzung mit dem König jenseits des großen Wassers in dem Land namens England zusteuerten. Und man redete viel von einem Masser Patrick Henry, der gesagt haben sollte: »Gebt mir die Freiheit, oder gebt mir den Tod!« Das gefiel Kunta, aber er vermochte nicht zu begreifen, wie ein Weißer das sagen konnte; ihm kamen die Weißen recht frei vor.
    Immer häufiger war die Rede von Zusammenstößen zwischen Kolonisten und den Soldaten des Königs, die dabei allemal schlecht wegkamen. »Die Weißen in der Stadt sagen, die Soldaten vom König haben rote Röcke, damit man das Blut nicht sieht«, berichtete Luther. Das Blut weißer Soldaten werde übrigens auch von Negern vergossen, und er hörte immer wieder, daß die Massers in Virginia ihren Sklaven mehr mißtrauten als sonst – »sogar ihren ältesten Hausniggern!«.
    Im Juni vertraute er seinen Zuhörern an: »Masser George Washington soll General werden. Der hat eine große Pflanzung mit vielen Sklaven.« In New England seien angeblich Sklaven freigelassen worden, die bereit waren, gegen die Rotröcke des Königs zu kämpfen!
    »Ich hab’s gewußt«, rief der Fiedler aus. »Die Nigger dürfen wieder mal ins Gras beißen, grad wie in dem Krieg gegen die Franzosen und Indianer. Sobald’s vorbei ist, gehn die Weißen gleich wieder mit der Peitsche auf die Nigger los!«
    »Vielleicht nicht«, sagte Luther. »Es gibt jetzt da oben in Philadelphia Weiße, Quäker heißen die, die wollen die Sklavenhaltung abschaffen.«
    Die Neuigkeiten, die Bell beisteuern konnte, klangen, als hätte sie sie vom Masser persönlich, aber schließlich gestand sie, daß sie immer, wenn der Masser Gäste

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