Wurzeln
eingefangenes Hausmädchen bei der Auspeitschung gestanden habe, ausgerechnet Luther, der Kutscher des Masser, habe ihr den Fluchtweg in groben Zügen aufgezeichnet.
Ehe Luther noch weglaufen konnte, stürzte Masser Waller zum Sklavenquartier, stellte ihn dem Sheriff gegenüber und fragte wütend, ob die Geschichte wahr sei. Verängstigt gab Luther alles zu. Rot vor Zorn hob der Masser den Arm zum Schlag, ließ ihn aber wieder sinken, als Luther um Gnade flehte, und starrte ihn nur eine Weile, mit Tränen unterdrückter Wut in den Augen, stumm an.
Endlich sagte er sehr ruhig: »Verhaftet den Mann, Sheriff, und bringt ihn ins Gefängnis. Er wird beim nächsten Sklavenmarkt verkauft.« Dann wandte er sich wortlos ab und ging zum Haus zurück, ohne sich weiter um Luthers gequältes Schluchzen zu scheren.
Die Spekulationen darüber, wer ausersehen würde, ihn als Kutscher des Masser zu ersetzen, hatten noch kaum begonnen, da kam Bell eines Abends mit der Mitteilung zu Kunta, der Masser wünsche ihn zu sprechen. Alle sahen zu – doch schien niemand sonderlich überrascht –, als er hinter Bell her ins Haus humpelte. Er ahnte, warum man ihn kommen ließ, fühlte sich aber doch ein wenig beklommen. Er hatte noch nie mit dem Masser gesprochen, noch auch nur – trotz der sechzehn Jahre, die er nun schon auf der Pflanzung war – das Herrenhaus jenseits von Bells Küche betreten.
Bell führte ihn durch die Küche in den Vorraum. Kunta starrte den glänzenden Boden und die tapezierten Wände an. Sie klopfte an einer hohen, mit Schnitzereien verzierten Tür. Er hörte den Masser »Herein« rufen, Bell trat ein, drehte sich um und winkte Kunta, ohne eine Miene zu verziehen, heran. Er konnte die Größe des Zimmers kaum fassen. Es schien ihm beinah so riesig wie das Innere der Scheune. Der polierte Eichenboden war mit Teppichen belegt, und an den Wänden hingen Bilder und Stickereien. Die tiefdunklen, aufeinander abgestimmten Möbel waren gewachst, und in den in die Wände eingelassenen Regalen standen lange Bücherreihen. Masser Waller saß lesend am Schreibtisch unter einer Öllampe mit einem runden Schirm aus grünlichem Glas, und als er sich Kunta nach einer Weile zuwandte, hielt sein Finger die Stelle, die er gerade las, fest.
»Ich brauche einen Kutscher. Du bist hier zu einem Mann herangewachsen, und ich glaube, daß du zuverlässig bist.« Seine weit auseinanderliegenden blauen Augen schienen Kunta durchbohren zu wollen. »Bell sagt, du trinkst nicht. Das gefällt mir. Außerdem hab ich beobachtet, wie du dich führst.« Masser Waller machte eine Pause. Bell warf Kunta einen Blick zu. »Jasörr«, sagte er rasch.
»Du weißt, was mit Luther passiert ist?« fragte der Masser. »Jasörr«, sagte Kunta. Die Augen des Masser verengten sich, und seine Stimme klang hart und kalt. »Ich würde dich sofort verkaufen«, sagte er. »Ich würde Bell auch verkaufen, wenn ihr zwei nicht vernünftig seid.«
Während sie stumm dastanden, wandte der Masser sich wieder seinem Buch zu. »Also, du fährst mich ab morgen. Ich muß nach Newport. Ich zeig dir den Weg, bis du dich selber auskennst.« Der Masser warf Bell einen Blick zu. »Gib ihm die richtigen Sachen zum Anziehen. Und sag dem Fiedler, daß er an Tobys Stelle im Garten arbeiten wird.«
»Jasörr, Masser«, sagte Bell, als sie und Kunta hinausgingen.
Bell brachte ihm zwar seine Sachen, aber es waren der Fiedler und der alte Gärtner, die Kunta früh am nächsten Morgen zusahen, wie er in die gestärkte und gebügelte Segeltuchhose stieg und das Hemd aus grober Baumwolle anzog. Das fand er nicht allzu schlimm, aber als sie ihm als nächstes den schmalen, schwarzen Schlips umzulegen halfen, hatte er das Gefühl, sich lächerlich zu machen.
»Nach Newport zu fahren, da ist nichts dabei, nur gradeaus, am Spotsylvania-Gericht vorbei«, sagte der alte Gärtner. »Das ist eins von den ältesten Herrenhäusern von der Waller-Familie.«
Der Fiedler – der inzwischen von seinen und Kuntas neuen Pflichten erfahren hatte – stieg um ihn herum und musterte ihn mit einer Mischung von unverhohlener Freude und Neid. »Keine Frage, jetzt bist du ein besonderer Nigger. Daß dir das man bloß nicht zu Kopp steigt.« Aber das war ein höchst überflüssiger Rat für jemanden, der nach all den Jahren immer noch jede Arbeit für den weißen Mann als demütigend empfand. Doch wie gering auch Kuntas Freude über die Aussicht gewesen sein mochte, den Garten hinter sich lassen und seinen
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