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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hatte, am Schlüsselloch des Speisezimmers lauschte. Seit neuestem durfte sie nur noch das Essen auftragen und mußte dann gleich hinausgehen; er schloß sogar die Tür hinter ihr ab. »Dabei kenn ich diesen Mann besser als seine Mutter!« murmelte sie empört.
    »Was hat er dann gesagt, nachher, als die Tür zu war?« fragte der Fiedler ungeduldig.
    »Heut abend hat er gesagt, man muß gegen die Engländer kämpfen. Die schicken bestimmt Schiffe mit vielen Soldaten rüber, und er hat Angst, daß die Engländer uns Nigger gegen die Weißen hier aufhetzen. Zweihunderttausend Sklaven gibt es allein hier in Virginia. Der Masser sagt, er ist dem König treu, aber die Steuern kann er nicht zahlen.«
    »General Washington will nicht noch mehr Niggersoldaten«, sagte Luther. »Oben im Norden gibt’s aber freie Nigger, und die wollen kämpfen.«
    »Kriegen schon Gelegenheit dazu, laß nur genug Weiße fallen«, sagte der Fiedler. »Diese freien Nigger müssen verrückt sein.«
    Die Nachricht, die vierzehn Tage später eintraf, war noch erstaunlicher: Lord Dunmore, der königliche Gouverneur von Virginia, versprach allen Sklaven die Freiheit, die ihre Plantagen verließen und Dienst auf englischen Schiffen nahmen.
    »Der Masser ist ganz wild«, berichtete Bell. »Der Mann, der zum Essen da war, hat gesagt, man soll alle Sklaven anketten oder einsperren, die zu den Engländern wollen, und Lord Dunmore soll gefangen und aufgehängt werden.«
    Kunta hatte den Auftrag, die Pferde der aufgeregten Massers, die seinen jetzt immer grimmig dreinblickenden Herrn besuchten, zu versorgen. Er konnte berichten, daß die Pferde oft schweißnaß waren von einem langen, schnellen Ritt und daß manche Massers selber kutschierten. Einer davon war John Waller, der Bruder des Masser, der Mann, der Kunta vor acht Jahren gekauft hatte, als er vom Schiff gekommen war. Kunta erkannte das verhaßte Gesicht sofort wieder, doch der Mann warf Kunta die Zügel zu, als hätte er ihn nie gesehen.
    »Braucht dich nicht zu wundern«, sagte der Fiedler. »Ein Masser wie der grüßt doch keinen Nigger nicht, und dich schon gar nicht.«
    Während der nächsten Woche erfuhr Bell durch Lauschen am Schlüsselloch, daß der Masser und seine Besucher besorgt und wütend waren, weil Tausende von Sklaven aus Georgia, Süd-Carolina und Virginia angeblich von den Plantagen flohen, um sich Lord Dunmore anzuschließen. Einige sagten, diese Sklaven flüchteten bloß nach dem Norden, doch alle Weißen waren sich darin einig, daß man mehr Bluthunde anschaffen mußte.
    Dann rief Masser Waller eines Tages Bell zu sich ins Wohnzimmer und las ihr zweimal einen Absatz aus seiner Virginia Gazette vor. Er befahl Bell, ihn den Sklaven zu zeigen, und gab ihr die Zeitung. Sie tat, wie er sie geheißen hatte, und die anderen reagierten darauf genau wie sie – weniger mit Angst als mit Wut. »Laßt euch nicht dazu verführen, euch selbst zu verderben, ihr Neger … ob wir leiden oder nicht, wenn ihr eure Herren böswillig verlaßt, ergeht es euch auf alle Fälle schlecht.«
    Ehe Bell die Gazette zurückgab, buchstabierte sie heimlich in ihrer Hütte noch einige weitere Artikel zusammen, und darunter waren auch Berichte von Sklavenaufständen, die teils stattgefunden hatten, teils befürchtet wurden. Später schrie der Masser sie an, weil sie die Zeitungen nicht vor dem Abendessen zurückgebracht hatte, und Bell entschuldigte sich unter Tränen. Doch bald wurde sie mit einer neuen Bekanntmachung hinausgeschickt: Das Abgeordnetenhaus von Virginia hatte beschlossen, »daß alle Neger und sonstigen Sklaven, die einen Aufstand planen oder unternehmen, ohne geistlichen Beistand zu Tode gebracht werden«.
    »Was heißt das?« fragte ein Feldarbeiter, und der Fiedler erwiderte: »Wenn du einen Aufstand machst, hängen die Weißen dich ohne Prediger auf.«
    Luther hatte gehört, einige Weiße, »Torys« und »Scotchmen« genannt, schlossen sich den Engländern an. »Und der Nigger vom Sheriff hat gesagt, Lord Dunmore brennt Flußplantagen und große Häuser ab und läßt die Nigger frei, die zu ihm kommen.« Luther berichtete weiter, in Yorktown und anderen Städten würden alle Schwarzen, die man bei Nacht im Freien antraf, ausgepeitscht und eingesperrt.
    Weihnachten war in diesem Jahr ein Tag wie jeder andere. Von Lord Dunmore erzählte man, er habe sich vor dem wütenden Mob nur mit Mühe auf sein Flaggschiff retten können. Und eine Woche später kam die unglaubliche Nachricht, Lord

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