Wurzeln
von »wir« und »unserem« sprach, ganz so, als besäße sie die Pflanzung, auf der sie lebte, und nicht umgekehrt.
Kapitel 58
»Warum bloß der Masser in den letzten Monaten so oft bei diesem schlechten Kerl von einem Bruder ist?« fragte Bell eines Abends, als sich Kunta nach einem Besuch auf Masser Johns Pflanzung müde hereinschleppte. »Dachte, zwischen den beiden wär’s aus gewesen mit der Freundschaft.«
»Ich glaub, der Masser ist ganz verrückt nach dem kleinen Babymädchen, was sie da haben.«
»Die ist ja auch niedlich«, sagte Bell. Und nach einer nachdenklichen Pause fügte sie hinzu: »Sicher tut Missy Anne den Masser an sein kleines Mädchen erinnern, was gestorben ist.«
Auf den Gedanken war Kunta, der immer noch Schwierigkeiten hatte, in einem toubob einen richtigen Menschen zu sehen, gar nicht gekommen.
»Im November wird sie schon ein Jahr alt, nicht?« fragte Bell.
Kunta zuckte die Achseln. Er wußte nur, daß die Hin- und Herfahrerei zwischen den beiden Pflanzungen schon tiefe Furchen in den Weg gezogen hatte – und in seinen Hintern auch. Und obwohl er Roosby, Masser Johns sauer dreinblickenden Kutscher, nicht leiden konnte, sagte er doch zu Bell, wie dankbar er für die Pause war, als der Masser in der vorigen Woche zur Abwechslung mal seinen Bruder zu sich eingeladen hatte.
Bell erinnerte sich, daß der Masser an jenem Tag beim Abschied ebenso fröhlich wie seine kleine Nichte ausgesehen hatte, als er sie juchzend und lachend hochwarf und wieder auffing, ehe er sie ihrer Mutter in die Kutsche reichte. Kunta war das nicht weiter aufgefallen, und es interessierte ihn auch nicht – und er konnte nicht verstehen, wieso Bell das interessierte.
Eines Nachmittags, ein paar Tage später, als sie auf dem Heimweg von einem Hausbesuch bei einem Patienten auf einer Pflanzung in der Nähe von Newport waren, schrie der Masser Kunta wütend zu, daß er gerade an einer Abzweigung vorbeigefahren sei, die sie hätten nehmen müssen. Kunta hatte nicht auf den Weg geachtet, so groß war sein Schock über etwas, das er gerade im Herrenhaus eines Patienten beobachtet hatte. Und selbst als er, eine Entschuldigung murmelnd, den Wagen eilig wendete, konnte er sich nicht von dem Bild der schweren, sehr schwarzen, wie eine Wolof aussehenden Frau lösen, die, im Garten auf einem Baumstumpf sitzend, wie selbstverständlich an der einen ihrer großen, nackten Brüste ein weißes und an der anderen ein schwarzes Kind gesäugt hatte. Kunta fand den Anblick ebenso empörend wie erstaunlich, aber als er es dem Gärtner erzählte, sagte der alte Mann: »In Virginia findst du kaum einen Masser, der nicht an einer schwarzen Mammy gesaugt hat oder wenigstens von einer großgezogen worden ist.«
Kunta schien das fast ebenso widerlich wie die demütigenden »Spiele«, die er nur allzuoft auf den Pflanzungen, auf die er kam, zwischen etwa gleichaltrigen weißen und schwarzen Kindern beobachtet hatte. Den weißen Kindern schien nichts so großen Spaß zu machen, als »Masser« zu spielen und so zu tun, als ob sie die schwarzen schlügen. Oder auf ihren Rücken zu klettern, um »Pferd« zu spielen und sie auf allen vieren kriechen zu lassen. Und »Schule« spielten sie, indem die weißen Kinder die schwarzen knufften und sich über ihre »Blödheit« lustig machten, wenn sie sie schreiben und lesen »lehrten«. Doch nach dem Essen, das die schwarzen Kinder damit verbrachten, dem Masser und seiner Familie, mit Zweigen fächelnd, die Fliegen fernzuhalten, lagen die weißen und die schwarzen Kinder einträchtig auf den Pritschen zum Mittagsschlaf.
Wenn ihm derlei begegnet war, sagte Kunta immer wieder zu Bell, dem Fiedler und dem Gärtner, daß er den toubob niemals verstehen werde – selbst wenn er hundert Regen alt würde. Und sie lachten darauf und versicherten ihm, daß sie so etwas und noch ganz anderes schon ihr Leben lang gesehen hätten.
Manchmal standen sich, so erzählten sie ihm, die weißen und die schwarzen Kinder sogar sehr nahe. Bell erinnerte sich, daß der Masser schon zweimal zu weißen Mädchen gerufen worden war, die ernstlich erkrankt waren, weil aus irgendeinem Grund ihre langjährigen Spielkameradinnen verkauft worden waren. Ihren Massers und Mistressen hatte man nur raten können, schleunigst die kleinen Freundinnen zu suchen und wieder zurückzukaufen, wenn sie nicht riskieren wollten, daß die hysterische Trauer ihre Töchter mit der Zeit zu Tode schwächte.
Und der Fiedler erzählte, daß
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