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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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auch ihm in den fast zwei Jahren, die er nun schon den Wagen des Masser fuhr, zu Ohren gekommen waren. Es wurde viel von Köchinnen und Hausmädchen getuschelt, die lächelnd und knicksend Essen servierten, in das sie ihre eigenen Ausscheidungen gemischt hatten. Und man hatte ihm von Mahlzeiten der Weißen erzählt, die zerstoßenes Glas oder Arsen oder andere Gifte enthielten. Er hatte sogar Geschichten über geheimnisvolle, tödliche Ohnmachten bei weißen Babys gehört, ohne daß irgend jemand die Stopfnadel fand, die ein Hausmädchen da, wo das Haar schon am dichtesten wuchs, in den weichen Kopf getrieben hatte. Und die Köchin eines Herrenhauses zeigte ihm die frühere Hütte einer alten Kinderfrau, die schwer geprügelt und dann verkauft worden war, weil sie einen jungen Masser, der sie geschlagen hatte, ernstlich verletzt hatte.
    Es schien Kunta überhaupt, als seien die schwarzen Frauen hier widerspenstiger und aufsässiger als die Männer. Aber vielleicht wirkte es auch nur so, weil die Frauen alles direkter und persönlicher nahmen und sich für gewöhnlich an den Weißen sofort rächten, die ihnen Unrecht getan hatten. Die Männer neigten weniger dazu und verschlossen sich mehr. Allerdings hatte der Fiedler Kunta von dem Vater eines schwarzen Mädchens erzählt, der einen weißen Aufseher, den er dabei ertappt hatte, wie er es vergewaltigte, an einem Baum aufhängte. Aber Gewalttaten von Schwarzen an Weißen entzündeten sich zumeist an Berichten von neuen Greueltaten der Weißen oder von Sklavenaufständen und ähnlichem.
    Auf der Waller-Pflanzung hatte es noch nie irgendwelche Meutereien oder auch nur Zwischenfälle gegeben. Aber Kunta hatte von einigen Schwarzen im Kreis Spotsylvania gehört, die Musketen und andere Waffen versteckt und sich verschworen hatten, ihre Massers oder Mistressen oder auch beide umzubringen und ihre Pflanzungen niederzubrennen. Und es gab auch unter den Männern, mit denen er arbeitete, einige, die sich im geheimen trafen, um Gutes und Böses, das Sklaven anderswo passierte, zu erörtern und über Hilfsaktionen zu beraten; aber bislang redeten sie nur.
    Man hatte Kunta nie aufgefordert, daran teilzunehmen – wahrscheinlich, weil sie glaubten, daß sein Fuß ihn bei einem tatsächlichen Aufstand nutzlos machen würde, dachte er. Aber aus welchen Gründen sie ihn auch ausschließen mochten, ihm war es nur recht. Denn obwohl er ihnen zu allem, was sie zu tun beschlossen, das Beste wünschte, glaubte Kunta nicht, daß eine Rebellion gegen so eine gewaltige Übermacht je Erfolg haben könne. Vielleicht würden die Schwarzen, wie Masser Waller gesagt hatte, den Weißen bald zahlenmäßig überlegen sein, aber niemals würden sie sie überwältigen können – nicht mit Mistgabeln, Küchenmessern und gestohlenen Musketen gegen die Soldaten und die Kanonen der weißen Nation.
    Aber Kunta schien es, daß ihr schlimmster Feind sie selber waren. Zwar gab es ein paar junge Rebellen unter ihnen, aber die Mehrheit der Sklaven gehörte doch zu der Art, die genau taten, was man von ihnen erwartete, und gewöhnlich noch, ohne extra dazu aufgefordert worden zu sein; zu der Art, denen die Weißen das Leben ihrer Kinder anvertrauen konnten – was sie auch taten; zu der Art, die wegsahen, wenn der weiße Mann ihre Frauen ins Heu zerrte. Er war ganz sicher, daß es bei ihnen auf der Pflanzung etliche gab, die der Masser in aller Ruhe ein ganzes Jahr lang unbewacht sich selbst hätte überlassen können, um sie bei seiner Rückkehr – fleißig bei der Arbeit – da wiederzufinden, wo er sie verlassen hatte. Und das gewiß nicht, weil sie so zufrieden waren, sie beklagten sich dauernd, wenn sie unter sich waren; aber kaum eine Handvoll protestierte auch nur je, von Auflehnung ganz zu schweigen.
    Vielleicht wurde er allmählich genau wie sie, dachte Kunta bei sich. Oder vielleicht wurde er einfach nur erwachsen. Oder wurde er alt? Er wußte es nicht; aber er wußte, daß er keine Lust mehr hatte, zu kämpfen und wegzulaufen, und daß er in Ruhe gelassen sein wollte. Er wollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Die das nicht konnten, schienen sich doch nur den Tod einzuhandeln.

Kapitel 59
    Auf einer Pflanzung, auf der der Masser eine ganze Familie gegen Fieber behandeln mußte, war Kunta im Schatten einer Eiche eingedöst und fuhr erst erschrocken auf, als auf einem Horn das Abendsignal zur Heimkehr der Sklaven vom Feld geblasen wurde. Als sie den Hof erreichten, rieb er sich noch

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