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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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immer den Schlaf aus den Augen und sah müßig zu, wie sie an ihm vorüberzogen, um sich vor dem Abendessen zu waschen. Es mußten etwa zwanzig oder dreißig sein. Dann sah er noch einmal hin und glaubte, er träume noch, aber es stimmte: vier von ihnen – ein Mann, eine Frau und zwei halbwüchsige Jungen – waren weiß.
    »Die nennt man weiße Vertragsarbeiter«, erklärte ihm seine Freundin, die Köchin, als er ihr kurz darauf seine Verblüffung schilderte. »Die sind jetzt schon bald zwei Monate da. ’ne Familie von jenseits vom großen Wasser. Der Masser zahlt denen die Überfahrt, und jetzt zahlen sie’s ihm zurück, indem daß sie sieben Jahre als Sklaven arbeiten. Dann sind sie frei wie andre Weiße.«
    »Und wohnen tun sie im Sklavenquartier?« fragte Kunta.
    »Sie haben eine eigene Hütte, abseits von unsern, aber die ist genau im selben Zustand wie alle andern auch. Und zu essen kriegen sie denselben Dreck wie wir. Und auf dem Feld werden sie auch nicht anders behandelt.«
    »Und wie sind die so?« fragte Kunta.
    »Meistens bleiben sie für sich, aber sonst sind sie ganz in Ordnung. Sind nicht wie wir, aber sie tun ihre Arbeit und machen niemand keinen Ärger nicht.«
    Kunta kam es vor, als ginge es diesen weißen Sklaven besser als den meisten freien Weißen, die er auf den Fahrten mit dem Masser zu sehen bekam. Nicht selten lebten ein Dutzend Erwachsene und Kinder zusammengepfercht in dem einzigen Raum ihrer Hütte, auf winzigen Fleckchen lehmiger Erde oder auf Sumpfland, dessen Ertrag so kümmerlich war, daß die Schwarzen ein Spottlied auf sie sangen: »Lieber Gott, laß mich bloß kein armer Weißer werden, dann bin ich schon lieber ein Nigger.« Er hatte es zwar selbst nie gesehen, aber gehört hatte er, daß solche Weiße von Abfällen lebten. Mager genug waren sie jedenfalls. Und sie rochen, als ob sie mit ihren verflohten Hunden schliefen, was viele von ihnen auch taten. Wenn er vor ihren Verschlagen im Einspänner auf den Masser warten mußte, der einen Skorbut- oder Pelagrafall behandelte, versuchte er, nur durch den Mund zu atmen. Er beobachtete, wie die Frauen und Kinder Holz hackten und pflügten, während die Mannsbilder mit ihren braunen Schnapskrügen und ihren Hunden – mit denen sie sich um die Wette kratzten – unter einem Baum lagen, und fand es nicht sonderlich schwer zu begreifen, warum die Massers, die Pflanzungen besaßen, und sogar auch ihre Sklaven, sich hochmütig über dieses »faule, nichtsnutzige weiße Kroppzeug« lustig machten.
    Tatsächlich war das nach seiner Meinung noch eine reichlich milde Bezeichnung für diese schamlosen Heiden, die es fertigbrachten, jede Anstandsregel zu verletzen. Schon am frühen Morgen lungerten ganze Horden von ihnen in ihren verschwitzten, fettigen, fadenscheinigen Lumpen um das Gericht oder den Saloon herum. Sie stanken nach dem dreckigen Tabak, den sie unablässig qualmten, sie soffen »Weißen Blitz« aus Flaschen, die in ihren Taschen steckten, und lachten und johlten einander zu, wenn sie sich zum Karten- oder Würfelspiel auf die Straße hockten.
    Am Nachmittag waren sie dann gewöhnlich soweit, sich vollends zu Narren zu machen: dann brachen sie in betrunkenes Grölen aus, tanzten wie wild auf den Straßen herum, pfiffen hinter den Frauen her, die an ihnen vorüberkamen, und riefen ihnen unanständige Worte nach, stritten und beschimpften sich gegenseitig und fingen schließlich Prügeleien an, die mit einem Schubs oder einem Rippenstoß begannen und – während sich die anderen um sie scharten und sie anfeuerten – mit Augenausstechen, Ohrenabbeißen, Tritten in den Unterleib und blutigen Wunden endeten, die fast immer der raschen Hilfe des Masser bedurften. Selbst die wilden Tiere seiner Heimat hatten, wie es Kunta schien, mehr Würde als diese Kreaturen.
    Bell kannte viele Geschichten von armen Weißen, die ausgepeitscht wurden, weil sie ihre Frauen geschlagen hatten, oder für Vergewaltigung ein Jahr im Gefängnis landeten. Und mindestens ebensooft erzählte sie, daß einer den anderen erstochen hatte, wofür ihm sechs Monate Sklavendienst drohten. Doch wie groß auch ihr Vergnügen an Brutalitäten untereinander sein mochte, Kunta wußte aus eigener Erfahrung, daß das noch gar nichts war, verglichen mit ihrem Vergnügen an Brutalitäten gegen Schwarze. Der Pöbelhaufen, der johlend und spottend mit Stöcken auf ihn und seine Kettengenossen eingeschlagen hatte, als sie aus dem großen Kahn geladen wurden, hatte aus armen

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