Wurzeln
Weißen – Männern wie Frauen – bestanden. Der Aufseher auf Masser Johns Pflanzung, der seinen Rücken so ausgiebig mit der Peitsche traktiert hatte, war ein armer Weißer gewesen. Die Sklavenfänger, denen es soviel Spaß gemacht hatte, ihm den halben Fuß abzuhacken, hatten zum »miesen weißen Kroppzeug« gehört. Und er wußte von Flüchtlingen, denen die Patrouillen, die sie aufgriffen, nicht wie ihm damals die Wahl gelassen hatten, sondern sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, mit gebrochenen Gliedern und ihrer Männlichkeit beraubt, auf ihre Pflanzungen zurückgebracht hatten. Er kam nicht dahinter, warum die armen Weißen die Schwarzen so haßten. Der Fiedler meinte, vielleicht wegen der reichen Weißen, die alles hatten: Vermögen, Macht und Besitz, zu dem auch ihre Sklaven gehörten, die Essen, Kleidung und Wohnung bekamen, während sie darum kämpfen mußten, sich überhaupt am Leben zu halten. Aber Kunta brachte kein Mitleid mit ihnen auf. Er empfand nur tiefen Haß gegen sie, der im Laufe der Jahre immer bitterer wurde, denn einer von ihnen hatte die Axt geschwungen, die ihn für immer um etwas gebracht hatte, das ihm kostbarer gewesen war als sein Leben: die Hoffnung auf Freiheit.
Im Spätsommer erregten sich die Weißen in der Kreisstadt mächtig über die Quäker, die sich jetzt angeblich nicht mehr damit begnügten, die Sklaven zur Flucht zu ermuntern, sondern ihnen dabei aktive Hilfe leisteten. Darüber gerieten die armen Weißen ebenso außer sich wie die Massers, und man forderte, alle bekannten Quäker sowie alle, die man des Quäkertums verdächtigte, zu teeren und zu federn, wo nicht gar aufzuhängen. Kunta meinte, die Quäker könnten höchstens hier und da einmal einem oder zwei Sklaven zur Flucht verhelfen und würden dabei bestimmt rasch gefaßt werden, doch waren es gewissermaßen weiße Verbündete, und Verbündete konnte man immer brauchen. Und wenn die Massers sich so schrecklich über die Quäker ärgerten, durfte man daraus schließen, daß an den Quäkern was dran war.
Nachdem Kunta von den Vorgängen in der Stadt berichtet hatte, brachte der Fiedler seine Neuigkeiten vor. Er kam jetzt mit seiner Fiedel viel herum und hörte allerhand, so unter anderem, daß ein reicher Quäker namens John Pleasant testamentarisch seinen zweihundert Sklaven die Freiheit geschenkt hatte.
Bell, die erst später dazukam, sagte, sie habe gerade gehört, wie Masser Waller und ein Gast sich bitter darüber beklagten, daß kürzlich in einem nördlichen Staat »Massachusetts« die Sklaverei abgeschafft worden sei und daß Gerüchte umgingen, Nachbarstaaten würden sich dem anschließen.
»Was bedeutet ›abgeschafft‹?« fragte Kunta.
Der alte Gärtner antwortete: »Das bedeutet, daß wir Nigger alle bald eines Tages frei sind!«
Kapitel 60
Kunta hatte sich angewöhnt, selbst wenn er nichts Erzählenswertes aus der Stadt mitbrachte, mit den anderen vor der Hütte des Fiedlers um das Feuer herum zu sitzen. Aber in letzter Zeit fiel ihm auf, daß er sich immer seltener mit dem Fiedler – um dessentwillen er einst doch nur dorthin gekommen war – unterhielt, und viel häufiger mit Bell oder dem alten Gärtner. Ihre Beziehung zueinander hatte sich nicht direkt abgekühlt, aber sie war anders geworden als früher, und das bekümmerte ihn. Natürlich hatte es sie einander nicht eben nähergebracht, daß dem Fiedler Kuntas Pflichten im Garten aufgebürdet worden waren, aber er war zu guter Letzt doch darüber hinweggekommen. Woran er sich aber anscheinend nicht gewöhnen konnte, war, daß Kunta ihn als die bestunterrichtete Informationsquelle über Neuigkeiten und Klatsch von der Außenwelt auszustechen begann.
Niemand hätte dem Fiedler vorwerfen können, er sei jetzt schweigsam, aber seine berühmten Monologe schienen kürzer und kürzer und seltener und seltener zu werden; und er spielte ihnen auch kaum noch auf der Fiedel vor. Nachdem er eines Abends besonders bedrückt dagesessen hatte, fragte Kunta Bell, ob er womöglich irgend etwas gesagt oder getan hätte, das ihn verletzt haben könnte.
»Bilde dir man bloß nichts ein«, sagte sie. »Seit Monaten zieht er kreuz und quer durchs ganze Land, um für die Weißen zu spielen, der Fiedler. Der ist nur bloß zu kaputt, noch den Mund aufzumachen, das ist es, und mir kann es nur recht sein. Der kriegt jetzt anderthalb Dollar jeden Abend, wo er bei den piekfeinen Festen von den Weißen spielt. Und sogar wenn der Masser seine Hälfte nimmt, hat
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