Wurzeln
der dort als reine Frauensache galt, aber er hatte gehört, man breite Tücher auf den Boden, damit die Frau ihr Kind darauf kniend gebären könne, und danach setze man sie in eine Schüssel mit Wasser, um sie vom Blut zu reinigen; er fragte sich, ob dies alles wohl auch jetzt geschah.
Zwischendurch fiel ihm ein, daß im fernen Juffure seine Eltern, Binta und Omoro, ja nun Großeltern wurden, und es betrübte ihn, daß sie seinen Sohn nicht nur niemals sehen würden – und umgekehrt –, sondern nicht einmal wissen konnten, daß er einen bekommen hatte.
Kunta sprang steil in die Höhe, als er plötzlich eine andere Stimme, ein laut quäkendes Geschrei hörte, und ein paar Minuten später kam der Masser mit erschöpft wirkendem Gesicht heraus. »Sie hatte es schwer«, sagte er zu Kunta. »Immerhin ist sie dreiundvierzig. Aber in ein paar Tagen geht’s ihr wieder gut.« Der Masser machte eine Handbewegung zur Tür. »Laß Mandy noch ein bißchen Zeit zum Aufräumen. Dann kannst du reingehen und dir dein Töchterchen ansehen.«
Eine Tochter ! Kunta rang noch immer um Fassung, als Schwester Mandy in der Tür erschien und ihn lächelnd heranwinkte. Lahm ging er durch den Vorraum, schob den Vorhang zur Schlafkammer beiseite – und da waren sie. Als er ans Bett schlich, knarrte eine Diele, und Bell öffnete die Augen und brachte ein schwaches Lächeln zustande. Wie geistesabwesend nahm er ihre Hand und drückte sie, aber er fühlte fast nichts, denn gleichzeitig starrte er wie gebannt in das Gesichtchen des Neugeborenen neben ihr. Es war beinahe so schwarz wie sein eigenes, und die Züge waren unverkennbar Mandinka. Obgleich es nur ein Mädchen war – was Allahs Wille sein mußte –, war es immerhin ein Kind, und die Gewißheit, daß das Blut der Kintes, das wie ein mächtiger Strom durch die Jahrhunderte geflossen war, nun zumindest für eine weitere Generation weiterfließen würde, machte Kunta doch stolz und froh.
Sein nächster Gedanke richtete sich auf einen passenden Namen für sein Kind. Zwar kannte er sich mittlerweile genügend aus, um den Masser nicht um acht Tage Urlaub zu bitten, wie sie jedem jungen Vater in Afrika zustanden, damit er reiflich überlegen konnte; aber die Sache bedurfte dennoch intensiven und ernsten Nachdenkens, denn der Name eines Neugeborenen hatte entscheidenden Einfluß darauf, was für ein Mensch aus ihm wurde. Der Gedanke durchzuckte ihn, daß, ganz gleich, welchen Namen er dem Kind gab, es zugleich auch den Familiennamen des Masser tragen würde, und darüber war Kunta so erzürnt, daß er Allah gelobte, diese Tochter solle nicht aufwachsen, ohne ihren eigenen wahren Namen zu erfahren.
Abrupt, ohne ein weiteres Wort, drehte er sich um und ging. Am Himmel zeigten sich die ersten Vorboten der Morgendämmerung, als er anfing, den langen Zaun entlangzuwandern, wo seine und Bells Liebschaft begonnen hatte. Er mußte nachdenken. Im Hinblick auf das, was sie ihm gerade über den größten Kummer ihres Lebens erzählt hatte – von ihren früheren kleinen Töchtern weg verkauft worden zu sein –, durchforschte er sein Gedächtnis nach einem Namen, einem Mandinka-Wort, das in seiner Bedeutung Bells innigstem Wunsch entsprach, nie wieder einen solchen Verlust zu erleiden – einen Namen, der seine Trägerin davor schützte, je die Mutter zu verlieren. Da, er hatte es! Er überdachte seinen Einfall ein übers andere Mal und widerstand der Versuchung, das Wort auch nur für sich selbst laut auszusprechen, denn das wäre nicht Rechtens gewesen. Ja, so mußte es sein! Begeistert über seine glückliche Eingebung binnen so kurzer Zeit, hastete Kunta am Zaun entlang zurück zur Hütte.
Aber als er Bell mitteilte, er sei bereit, seinem Kind einen Namen zu geben, protestierte sie heftiger, als er bei ihrem augenblicklichen Zustand für möglich gehalten hätte. »Warum eilt’s dir denn so mit dem Namen? Und wie soll sie heißen? Wir haben doch überhaupt noch nicht deswegen miteinander geredet!« Kunta wußte, wie störrisch Bell sein konnte, wenn sie einmal den Nacken steif machte. Darum verriet seine Stimme ebensoviel Angst wie Ärger, als er die rechten Worte suchte, ihr zu erklären, daß gewisse Traditionen gewahrt werden müßten; zu den wichtigsten gehöre die Wahl des Namens durch den Vater allein, und dieser durfte ihn niemandem verraten, bevor er ihn insgeheim dem Kind enthüllt hatte: nur so sei es der Sitte gemäß. Und Eile sei deswegen geboten, damit ihr Kind ja nicht als
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