Wurzeln
puppenähnlichen Fratz überschüttete. Anne war für ihn nur ein Kind mehr in der endlosen Reihe von »kleinen Missies« und »kleinen Massers«, die er in so vielen Herrenhäusern gesehen hatte. Nun, da Bell kurz vor der Geburt ihres und seines – eigenen Kindes stand, erbitterte ihn die Vorstellung, Kunta und Bell Kintes erstgeborenen Sohn mit toubob- Kindern spielen sehen zu müssen, die ihrerseits aufwuchsen, um Massers zu werden – und oft genug auch noch die Väter ihrer eigenen Sklaven-Kinder. Kunta war auf mehr als einer Pflanzung gewesen, wo etliche der Sklavenkinder fast die gleiche Hautfarbe hatten wie die Kinder ihrer Massers; oft hätte man sie geradezu für Zwillinge halten können, weil beide denselben weißen Vater hatten. Ehe Kunta zuließ, daß mit Bell etwas Derartiges geschah, schwor er sich, lieber den Masser zu töten, als einer der Männer zu werden, die er mit dem »gelben« Bastard ihrer Frau im Arm gesehen hatte und die recht und schlecht mit der Gewißheit lebten, daß ihnen bei der geringsten Beschwerde die Peitsche drohte wenn nicht Schlimmeres.
Kunta dachte daran, daß »gelbe« Sklaventöchter bei den Auktionen hohe Preise erzielten. Er hatte gesehen, wie sie verkauft wurden, und oft auch gehört, zu welchem Zweck. Er dachte an die Geschichten über hellhäutige Knaben, die schon als Babys auf rätselhafte Weise verschwanden und nie wieder auftauchten, und das alles wegen der Angst, sie könnten zu weiß aussehenden Jünglingen heranwachsen und in eine Gegend flüchten, wo man sie nicht kannte und wo sie das schwarze Erbe ihres Blutes mit dem weißer Frauen vermischen könnten. Sooft Kunta an solche Blutmischungen dachte, unter welchem Gesichtspunkt auch immer, dankte er Allah, daß er und Bell die erfreuliche Gewißheit hatten, einen schwarzen Sohn zu bekommen, was auch sonst sein Wille sein mochte.
An einem frühen Abend im September 1790 setzten bei Bell die Wehen ein. Aber sie wollte Kunta noch nicht zum Masser schicken, der versprochen hatte, ihr persönlich beizustehen; Schwester Mandy sollte sich bereit halten, falls er ihre Hilfe benötigte. Bell lag auf dem Bett, knirschte bei jeder Wehe mit den Zähnen, um nicht laut aufzuschreien, und umkrampfte Kuntas Hand mit der Kraft eines Mannes.
Dann, in einer der kurzen Phasen zwischen den Wehen, wandte Bell ihr verschwitztes Gesicht auf einmal Kunta zu und flüsterte: »Da ist was, was ich dir schon früher hätte sagen sollen. Ich hab nämlich schon mal zwei Kinder gehabt, vor langer Zeit, lang bevor du überhaupt da warst – ich war noch keine sechzehn Jahre alt.« Kunta stand da und sah wie erstarrt auf die angstgepeinigte Bell nieder. Hätte er das gewußt … Nein, er hätte sie wohl auf jeden Fall geheiratet … Aber er fühlte sich hintergangen, weil sie es ihm nicht vorher gesagt hatte. Zwischen weiteren Wellen des Schmerzes um Luft ringend, berichtete Bell nun von den beiden Töchtern, von denen man sie weggerissen und verkauft hatte. »Dabei waren sie noch ganz kleine Würmer!« Bell begann zu weinen. »Eine konnte schon ganz ordentlich laufen, aber die andre war kaum ein Jahr alt …« Sie wollte fortfahren, aber ein neuer Krampf ließ sie den Mund zusammenpressen, und ihre Hand packte noch fester zu. Sie lockerte ihren Griff auch nicht, als die Wehe endlich abebbte, sondern schaute durch Tränen zu Kunta auf und sagte, als läse sie seine finsteren Gedanken: »Wenn du’s genau wissen willst – ihr Daddy war kein Masser oder Aufseher. Ein Feldnigger, ungefähr in meinem Alter. Wir wußten’s nicht besser.«
Die Wehen kamen nun in immer kürzeren Abständen, und Bells Nägel gruben sich in Kuntas Handflächen, während sich ihr Mund zu einem tonlosen Schrei öffnete. Kunta rannte hinaus und zu Schwester Mandys Hütte, wo er an die Tür hämmerte und heiser nach ihr rief. Dann rannte er weiter zum Herrenhaus, so rasch er nur konnte. Sein Klopfen und Rufen holte schließlich Masser Waller herbei, dem ein einziger Blick auf Kunta genügte, um zu sagen: »Ich komme sofort!«
Bells qualvolles Stöhnen, das sich zu schrillen Schreien steigerte und die Stille des Sklavenquartiers zerriß, verdrängte in Kunta jeden Gedanken an Bells Enthüllung. Sosehr es ihn trieb, an ihrer Seite zu sein, war er doch ganz froh, daß Schwester Mandy ihn wieder hinausschickte. Er hockte sich neben die Tür und versuchte sich vorzustellen, was jetzt drinnen vorging. In Afrika hatte er nie Genaueres über den Geburtsvorgang erfahren, weil
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