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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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dümmer wir sind, desto weniger Ärger haben sie mit uns.«
    »Ich würd niemand Ärger machen«, meinte sie schmollend.
    »Aber wir kriegen alle beide Ärger mit deiner Mammy, wenn wir jetzt nicht ganz schnell nach Hause gehn.«
    Kunta stand auf und ging einige Schritte, ehe er merkte, daß Kizzy nicht hinter ihm war, und sich umdrehte. Sie hockte am Bachufer und betrachtete einen glänzenden Kiesel.
    »Komm jetzt, es ist wirklich Zeit.« Sie blickte zu ihm auf, und er ging zurück und streckte ihr die Hand hin. »Weißt du was?« sagte er. »Heb den Stein auf und nimm ihn mit und versteck ihn irgendwo, und wenn du schön den Mund drüber hältst, darfst du ihn am nächsten Neumondmorgen in meine Kürbisflasche tun.«
    »Oh, Pappy!!« Sie strahlte.

Kapitel 77
    Es war fast Zeit für Kizzy, einen weiteren Kiesel in Kuntas Kürbisflasche zu werfen – etwa ein Jahr später, im Sommer 1800 –, als der Masser zu Bell sagte, er müsse geschäftlich für eine Woche nach Fredericksburg, und sein Bruder würde herüberkommen, um während seiner Abwesenheit »nach dem Rechten zu sehen«. Diese Nachricht traf Kunta weit mehr als alle anderen im Sklavenquartier, denn der Gedanke, Bell und Kizzy so lange in der Gewalt seines früheren Besitzers zu wissen, war ihm noch unangenehmer als der, mit dem Masser von ihnen wegzumüssen. Natürlich behielt er seine Sorgen für sich, aber als er am Morgen der Abreise aus der Hütte ging, um die Pferde anzuspannen, erschrak er fast darüber, wie Bell wieder seine Gedanken gelesen hatte. Sie sagte nämlich: »Sicher, Masser John ist nicht wie sein Bruder, aber ich weiß schon, wie ich mit seinesgleichen fertig werde. Und es ist ja bloß für ’ne Woche. Also mach dir nicht zuviel Sorgen. Wir werden’s überleben.«
    »Ich mach mir gar keine Sorgen«, sagte Kunta und hoffte, daß Bell ihm die Lüge nicht anmerkte.
    Dann hockte er sich nieder, um Kizzy einen Abschiedskuß zu geben und ihr ins Ohr zu flüstern: »Vergiß deinen Neumondkiesel nicht«, und Kizzy zwinkerte ihm verschwörerisch zu, und Bell tat, als hätte sie nichts gehört, obwohl sie längst wußte, was die beiden nun schon fast neun Monate lang taten.
    Während der ersten beiden Tage, die Kunta und der Masser abwesend waren, änderte sich nicht viel im Hause, obgleich Bell sich so ziemlich über alles, was Masser John tat oder sagte, leicht verstimmt zeigte. Besonders mißbilligte sie, daß er bis spät in die Nacht im Arbeitszimmer seines Bruders aufsaß, den besten Whiskey, und zwar aus der Flasche, trank, schwarze, dicke, übelriechende Zigarren rauchte und die Asche auf den Teppich fallen ließ. Immerhin störte Masser John den normalen Tagesablauf nicht allzusehr und ließ sich überhaupt wenig blicken.
    Aber am späten Vormittag des dritten Tages, als Bell gerade die Vorderveranda fegte, kam ein Mann auf schnaubendem Pferd angaloppiert und verlangte, sofort den Masser zu sprechen.
    Schon nach zehn Minuten ritt der Mann so hastig wieder weg, wie er gekommen war, und Masser John schrie in die Diele hinunter, Bell solle zu ihm ins Arbeitszimmer kommen. Er wirkte erschüttert, und Bell durchzuckte die Angst, Kunta und dem Masser sei womöglich etwas Furchtbares zugestoßen. Die Ahnung verdichtete sich zur Gewißheit, als Masser John ihr befahl, alle Sklaven im Hinterhof zu versammeln. Sie kamen und stellten sich in Reih und Glied auf, starr vor Furcht, als er die Fliegentür aufstieß und herausstampfte; er hatte sich einen Revolver deutlich sichtbar in den Gürtel gesteckt.
    Er musterte mit kalten Blicken ihre Gesichter und sagte: »Soeben habe ich die Nachricht erhalten, daß einige Nigger in Richmond ein Komplott geschmiedet haben, den Gouverneur zu entführen, die Weißen zu massakrieren und die Stadt abzubrennen.« Die Sklaven starrten einander verblüfft an, während er fortfuhr: »Dank sei dem Himmel – und ein paar gescheiteren Niggern, die dahintergekommen sind und ihren Massers rechtzeitig Bescheid gesagt haben. Die Verschwörung wurde vereitelt, und die meisten Rädelsführer sind gefangen. Der Rest wird von bewaffneten Patrouillen verfolgt. Ich gedenke dafür zu sorgen, daß kein aufsässiger Nigger bei euch unterkriecht. Falls einer von euch Rosinen im Kopf hat, laßt euch gesagt sein, daß ich euch Tag und Nacht kontrolliere! Keiner setzt einen Fuß über die Grenzen dieser Plantage! Keine Zusammenkünfte! Ausgangssperre nach Einbruch der Dunkelheit!« Masser John klopfte vielsagend auf seinen Revolver.

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