Wurzeln
schienen, das Bell ihnen bereitet hatte, war Bell weniger verärgert als besorgt. Ihre Besorgnis galt dem seltsamen Fieber, das sich im Bezirk auszubreiten begann. Die beiden Männer fuhren nun schon jeden Tag früher weg und kamen jeden Abend später nach Hause, so sehr mußte Masser Waller als der Bezirksarzt sich anstrengen, mit den täglich neuen Fällen von Ansteckung Schritt zu halten.
Kunta war so erledigt, als er in seinen Schaukelstuhl sank und leer ins Feuer starrte, daß er nicht einmal merkte, wie Bell seine Stirn befühlte und ihm die Schuhe auszog. So verging eine halbe Stunde, bevor ihm plötzlich auffiel, daß Kizzy nicht wie sonst immer auf seinem Schoß saß, um ihm ein neues Spielzeug zu zeigen oder über ihre wichtigen Tagesereignisse zu plappern. »Wo ist das Kind?« fragte er endlich.
»Ich hab sie schon vor ’ner Stunde ins Bett gesteckt.«
Er setzte sich auf. »Sie ist doch nicht krank, oder?«
»Nein, nur übermüdet vom Spielen. Missy Anne ist heut rübergekommen.« Kunta war sogar zu erschöpft, um darauf wie üblich gereizt zu reagieren, aber Bell wechselte ohnehin das Thema. »Roosby hat mir erzählt, während er aufs Nachhausefahren mit Missy Anne gewartet hat, daß er den Fiedler neulich auf einem Ball in Fredericksburg gehört hat, wo er Masser John hingebracht hat. Roosby sagt, er hat den Fiedler kaum wiedererkannt, er spielt einfach nicht mehr so wie früher. Ich hab ihm nicht gesagt, daß der Fiedler überhaupt nicht mehr der alte ist, seit er weiß, daß er nicht frei wird.«
»Kommt mir so vor, als ob ihm seitdem alles egal ist«, sagte Kunta.
»So scheint’s wirklich. Er sondert sich ab, grüßt kaum noch wen, nicht mal mit ’nem Nicken, außer Kizzy, wenn sie ihm das Essen bringt und sich zu ihm setzt, bis er fertig ist. Sie ist die einzige, mit der er noch zu tun haben will. Sogar mit dir kommt er nicht mehr zusammen.«
»Jetzt, wo das Fieber immer weiter rumgeht«, sagte Kunta ermattet, »hab ich auch nicht viel Zeit und Kraft für Besuche übrig.«
»Ja, das merk ich, aber nun sitz nicht wieder die halbe Nacht hier rum. Mach, daß du ins Bett kommst.«
»Laß mich in Ruhe, Frau. Bei mir ist alles in Ordnung.«
»Sagst du!« Bell nahm ihn energisch bei der Hand und führte ihn in die Schlafkammer, ohne auf weiteren Widerstand zu stoßen. Kunta saß auf der Bettkante und ließ sich aus den Kleidern helfen; dann streckte er sich seufzend aus.
»Dreh dich auf den Bauch, damit ich dir den Rücken reiben kann.«
Er tat es, und sie begann ihn mit ihren schon etwas steifer gewordenen Fingern zu massieren.
Kunta zuckte plötzlich zusammen.
»Was ist? So stark rubble ich doch gar nicht.«
»Nichts, mach weiter.«
Bell drückte auf eine Stelle tiefer unten im Kreuz. »Tut’s hier auch weh?«
»Au!«
»Das gefällt mir nicht«, sagte sie und wandelte ihren Griff in ein behutsames Streicheln.
»Ich bin bloß müde. Alles, was ich brauche, ist mal ’ne Nacht richtig durchschlafen.«
»Wir werden ja sehn«, sagte Bell, blies die Kerze aus und stieg neben ihm ins Bett.
Aber als Bell am nächsten Morgen dem Masser das Frühstück servierte, mußte sie ihm melden, Kunta sei heute nicht imstande gewesen aufzustehen.
»Vermutlich hat ihn das Fieber erwischt«, sagte der Masser und versuchte, seinen Mißmut nicht zu zeigen. »Na, du weißt ja, was du zu tun hast. Leider geht die Epidemie inzwischen weiter, und ich muß einen Kutscher haben.«
»Jasörr, Masser.« Bell überlegte einen Moment. »Hättet Ihr was gegen den Feldjungen, den Noah? Er ist rasch gewachsen, beinah mannshoch. Mit seinen Maultieren kann er gut umgehn, da glaub ich sicher, mit Pferden auch.«
»Wie alt ist er denn?«
»Hm, ja, Sörr, Noah müßte so um die zwei Jahre älter sein wie meine Kizzy, also – dreizehn oder vierzehn, glaub ich, Sörr.«
»Zu jung«, sagte der Masser. »Geh und sag dem Fiedler, er muß für Toby einspringen. Soviel hat er im Garten nicht zu tun, und mit seinem Fiedeln ist in letzter Zeit auch nichts mehr los. Er soll anspannen und vorfahren, und zwar sofort.«
Auf dem Weg zur Hütte des Fiedlers machte Bell sich darauf gefaßt, daß er entweder völlig gleichgültig oder sehr aufgeregt sein würde. Er war beides. Daß er den Masser kutschieren sollte, schien ihn zwar in jeder Hinsicht kaltzulassen, aber als er hörte, Kunta sei krank, wurde er so besorgt, daß sie ihm mit allen Mitteln ausreden mußte, erst den Freund zu besuchen, bevor er den Masser abholte.
Von
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