Wurzeln
ihm gesagt hab, daß ich um siebenhundert Dollar reicher bin. Wirst du dich so freuen wie er, wenn ich endlich weg bin?«
»Für dich ja«, sagte Kunta. »Für mich nicht.«
»Gib dir mal Mühe, daß ich ordentlich Mitleid mit dir kriege, dann kauf ich dich auch frei – du mußt nur noch ’n Weilchen Geduld haben. Mich hat’s dreiunddreißig Jahre gekostet, mich in die Freiheit zu fiedeln!«
Kunta fing schon auf dem Rückweg zu seiner Hütte an, den Fiedler zu vermissen. Bell legte seine Traurigkeit als Kummer wegen Toussaint aus, darum brauchte er seinen Gemütszustand weder zu verbergen noch zu erklären.
Als er am nächsten Vormittag nach dem Füttern der Pferde zur Hütte des Fiedlers ging, fand er sie leer und ging weiter zu Bell, um sie zu fragen, ob er vielleicht gerade drin beim Masser sei.
»Er war da, aber er ist schon seit ’ner Stunde wieder weg. Sah aus wie ’n Geisterseher. Ist was los? Und was hatte er überhaupt beim Masser zu suchen?«
»Was hat er gesagt, als er rauskam?« fragte Kunta zurück.
»Nichts. Ist an mir vorbei, als wär ich nicht da.«
Ohne ein weiteres Wort drehte Kunta sich um und ging durch die Fliegentür wieder in Richtung des Sklavenquartiers. Bell rief ihm nach: »Was ist denn jetzt mit dir ?« und, da er nicht antwortete: »So ist’s recht! Sag mir nichts! Ich bin ja nur deine Frau!« – Kunta war schon verschwunden.
Nachdem er herumgefragt, an jede Tür geklopft, sogar ins Klohäuschen gespäht und »Fiedler!« in die Scheune gebrüllt hatte, humpelte Kunta eilig den Koppelzaun entlang. Als er ein gutes Stück zurückgelegt hatte, hörte er Melodiefetzen aus einem Lied, das die Schwarzen bei ihren Jesus-Zusammenkünften zu singen pflegten … nur daß sie diesmal von einer Geige herrührten. Der Fiedler hatte sonst immer lustige, übermütige Weisen gespielt; diese klang traurig, langgezogen, fast als ob die Fiedel schluchzen wollte …
Kunta beschleunigte seinen Schritt, bis er in Sichtweite einer Eiche gelangte, deren Krone sich halb über einen Bach, nahe der Grenze von Masser Wallers Besitztum, ausbreitete. Im Näherkommen sah Kunta die Schuhspitzen des Fiedlers hinter dem Baumstamm hervorragen. Die Musik stockte – und Kunta, der sich plötzlich wie ein Eindringling fühlte, desgleichen. Er stand ganz still und wartete, daß der Fiedler weiterspielte, aber nur Bienengesumm und Bachgeplätscher tönten jetzt überlaut durch das Schweigen. Endlich wagte sich Kunta fast tölpelhaft verlegen um den Baum herum, dem Fiedler vor die Augen. Ein Blick genügte, um zu wissen, was geschehen war. Das Strahlen auf dem Gesicht seines Freundes, das vertraute Funkeln seiner Augen war erloschen.
»Brauchst du was zum Matratzenstopfen?« kratzte die Stimme des Fiedlers. Kunta sagte nichts. Tränen begannen über die Wangen des Alten zu rinnen; er wischte sie wütend weg, als wären sie ätzende Säure, und nun überstürzten sich die Worte: »Ich hab ihm gesagt, nun hätte ich endlich das Geld zusammen, um mich freizukaufen – bis zum letzten Penny. Er macht ’ne Weile ›Hm, hm‹ und guckt zur Zimmerdecke. Dann gratuliert er mir, daß ich soviel gespart hab. Und dann sagt er, ich könnte die siebenhundert ja gern als Anzahlung betrachten, aber als Geschäftsmann müßte er bedenken, wie die Sklavenpreise gestiegen sind, seit die neue Baumwollmaschine eingeführt ist. Er sagt, jetzt könnte er einen guten, einträglichen Musiker wie mich nicht unter fünfzehnhundert freigeben; beim Verkaufen an jemand anders würde er sogar mindestens zweitausendfünfhundert für mich kriegen. Es tät ihm leid, das sagt er noch, aber ich müßte verstehen, Geschäft ist Geschäft, und er muß aus seinem Einsatz schließlich was Angemessenes rausholen.« Der Fiedler schluchzte jetzt laut auf. »Er sagt, Freiheit ist nicht alles, es kommt da auf das Gewußt-Wie an, und er wünscht mir Glück, und ich könnt mit dem Rest wiederkommen, wenn ich drauf bestehe … und ich soll erst mal tüchtig weiterarbeiten … Und beim Rausgehn sollte ich Bell sagen, er wünsche jetzt seinen Kaffee.«
Er verstummte. Kunta stand unbeholfen da.
»Dieser Hundesohn!« schrie der Fiedler plötzlich, holte weit aus und schleuderte seine Fiedel in den Bach.
Kunta watete hinein, um sie wieder zu holen, aber ehe er ins Wasser griff, sah er schon, daß sie zerbrochen war.
Kapitel 80
Als Kunta einige Monate danach spätabends mit dem Masser heimkehrte und beide vor Müdigkeit kaum das gute Essen zu genießen
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