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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Masser auf den Bock, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
    Einen Blick über die Schulter werfend, krächzte Onkel Mingo: »Kommst du oder kommst du nicht?«
    George lief hinterher und schwang sich auf den Wagen. Es hatte ihm ja keiner gesagt, daß er mitfahren durfte! Nachdem er zu Atem gekommen war, hockte er sich nieder. Das Quietschen des Wagens vermischte sich mit dem Krähen, Glucken und Picken der Kampfhähne. Er empfand tiefe Dankbarkeit und Wertschätzung für Masser Lea und Onkel Mingo. Und wieder dachte er ungläubig und betroffen an die Worte seiner Mutter, wonach der Masser sein Daddy war oder sein Daddy der Masser, wie man es nahm.
    Bald kamen aus Nebenwegen andere Wagen, Karren, Kutschen und Einspänner, aber auch Reiter und ärmliche Fußgänger mit prallen Säcken, die, wie George wußte, auf Stroh gebettete Kampfhähne enthielten. Ob Masser Lea wohl auch so mit seinem ersten Vogel, den er angeblich in der Lotterie gewonnen hatte, zu Hahnenkämpfen gewandert war? Die meisten Wagen waren von mehreren Weißen und Sklaven besetzt, und jeder hatte Hahnenkäfige geladen. Er erinnerte sich an Mingos Worte: »Wer auf Hahnenkämpfe versessen ist, denkt nicht an Zeit oder Entfernung, wenn es irgendwo ’n großen Kampf gibt.« Ob die armen Weißen, die da zu Fuß unterwegs waren, wohl auch einmal eine Farm und ein großes Haus haben würden wie der Masser?
    Nach etwa zwei Stunden wurde in der Ferne ein Geräusch vernehmlich, das nur das Krähen vieler, vieler Kampfhähne sein konnte. Als der Wagen sich einem dichten Kiefernwald näherte, schwoll der unglaubliche Chor immer stärker an. Der Duft von bratendem Fleisch stieg George in die Nase, und schon war der Wagen einer unter vielen, die einen Abstellplatz suchten. Ringsum waren Pferde und Maultiere an Pfosten gebunden; sie schnaubten, stampften und peitschten mit den Schwänzen. Eine Menge Leute standen herum und redeten durcheinander.
    »Tom Lea!«
    Der Masser war eben vom Kutschbock aufgestanden und streckte die steif gewordenen Beine. Ein paar arme Weiße, die in der Nähe standen und eine Flasche herumgehen ließen, hatten ihn angerufen. Daß man seinen Masser gleich erkannt hatte, freute George mächtig. Masser Lea winkte, sprang vom Wagen und gesellte sich zu ihnen. Hunderte von Weißen – angefangen von kleinen Jungen, die sich ängstlich an die Hosenbeine ihrer Väter klammerten, bis zu runzeligen Greisen – standen wartend und schwatzend herum. George fiel auf, daß die Sklaven meist auf dem Wagen blieben und sich mit den in den Körben eingeschlossenen Kampfhähnen beschäftigten; die vielen Vögel machten einen Lärm, als ob sie einen Wettstreit im Krähen austragen wollten. Unter einigen Wagen sah George zusammengerolltes Bettzeug und schloß daraus, daß die Besitzer von so weit hergekommen waren, daß sie über Nacht bleiben mußten. Der ätzende Geruch von Maisschnaps stieg ihm in die Nase.
    »Stier nicht in die Gegend, Junge! Wir müssen die Vögel in Schwung bringen!« rief Onkel Mingo ihm zu, als er den Wagen endlich abgestellt hatte. George riß seine Blicke von diesem bunten Gewimmel los und öffnete die Transportkörbe; er reichte einen wütend pickenden Vogel nach dem anderen Onkel Mingo, dessen knorrige schwarze Hände Beine und Flügel der Tiere massierten. Als er den letzten Vogel in Empfang nahm, sagte Onkel Mingo: »Hack ’n halbes Dutzend Äpfel in Stücke. Das ist das Beste, was sie vor dem Kampf essen können.« Als Onkel Mingo später bemerkte, wie entgeistert George in die Menge starrte, ließ der alte Mann seine Gedanken zu dem Tag zurückwandern, da er seinen ersten Hahnenkampf erlebt hatte. Das war länger her, als ihm lieb war. »Na los«, blaffte er, »mach dich dünn und lauf ein bißchen rum, wenn du willst, aber daß du mir zurück bist, bevor es anfängt, hörst du?«
    »Jasörr!« George sprang wie der Blitz vom Wagen und verschwand. Den weichen, elastischen Teppich aus Kiefernnadeln unter den Füßen spürend, schlängelte er sich hierhin und dorthin durch die rempelnde, stoßende Menge. Er kam an Dutzenden von Körben mit krähenden Hähnen vorbei und bewunderte die verwirrende Pracht ihres Gefieders, von Schneeweiß bis Kohlschwarz, in allen nur erdenklichen Farbkombinationen.
    Er verhielt jäh den Schritt, als er den Ring sah, eine flache runde Grube mit abgestützten Rändern. Der gestampfte Lehmboden war genau in der Mitte mit einem kleinen Kreis und mit je einem Strich in gleichem Abstand vom Kreis

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