Wurzeln
Jahrhunderten für den Kampf gezüchtet worden waren. Ihre Körperform und ihr Instinkt zwangen sie förmlich, jederzeit und überall gegen jeden Gegner anzutreten und bis zum letzten Atemzug zu kämpfen.
Der Masser hielt es für zweckmäßig, doppelt so viele Tiere vorzubereiten, als er in der Saison kämpfen lassen wollte. »Manche Vögel kommen einfach nicht richtig, fressen und arbeiten nicht wie die andern«, erklärte Mingo seinem Helfer. »Und die müssen rausgesucht werden.« Masser Lea kam morgens nun schon früher zum Hahnengrund, um mit Onkel Mingo zu arbeiten. Stundenlang prüften sie die sechzig Vögel, einen nach dem anderen. Ihren Gesprächen entnahm George, daß sie alle Tiere aussondern würden, die wunde Stellen am Kopf oder am Körper hatten, aber auch solche, deren Schnäbel, Hälse, Flügel oder Körperbau nicht in jeder Beziehung perfekt waren. Das größte Manko, das einem Vogel angelastet werden konnte, war mangelnde Aggressivität.
Eines Tages brachte der Masser Weizen- und Hafermehl, Butter, eine Flasche Bier, zwölf Eiweiß, Sauerklee, Gundermann und etwas Lakritze, was Mingo zu einem Teig verrührte, aus dem dünne, runde Plätzchen geformt wurden. Nach dem Backen erklärte Onkel Mingo: »Das gibt ihnen Kraft«, und er wies George an, die Plätzchen zu zerbröckeln, jedem Hahn täglich drei Handvoll zu geben und jedesmal, wenn er ihre Wassernäpfe neu füllte, ein wenig Sand dazuzutun.
»Die müssen gedrillt werden, bis sie nur noch aus Knochen und Muskeln bestehen«, befahl der Masser. »Sie sollen rennen, bis sie umfallen«, versprach Mingo. Schon am nächsten Tag rannte George, einen von Onkel Mingos alten Lockhähnen unter dem Arm, wie ein Verrückter durchs Gelände, verfolgt von jeweils einem Kampfhahn, der sich üben sollte. Auf Mingos Befehl ließ George den verfolgenden Hahn gelegentlich so nahe herankommen, daß er mit Krallen und Schnabel nach dem wild kreischenden Lockhahn hacken konnte.
Onkel Mingo fing den schnaubenden Angreifer ein und ließ das hungrige Tier rasch eine walnußgroße Kugel gesalzener, mit gestoßenen Kräutern gemischter Butter hinunterschlingen. Dann bettete er den müden Vogel in einem mit weichem Stroh gepolsterten Korb, breitete Stroh über ihn und schloß den Deckel. »Da drin schwitzt er gut«, erklärte er den Zweck seines Tuns. Wenn der letzte Hahn gedrillt war, holte George die schwitzenden Tiere aus ihren Körben. Bevor er sie wieder in den Käfig brachte, schleckte Onkel Mingo Kopf und Augen jedes einzelnen Vogels mit der Zunge ab. »So gewöhn ich sie«, erklärte er George. »Wenn sie im Kampf verletzt werden, muß ich ihnen Blutgerinnsel aus den Schnäbeln saugen, damit sie atmen können.«
Als eine Woche um war, hatten so viele scharfe Sporen ihre Spuren auf Georges Händen und Unterarmen hinterlassen, daß Onkel Mingo brummte: »Paß nur auf, daß man dich nicht mit ’nem Hahnenzüchter verwechselt!«
Von einem kurzen Besuch im Sklavenquartier am Weihnachtsmorgen abgesehen, gingen die Feiertage für George fast unbemerkt vorüber. Jetzt, kurz vor Beginn der Hahnenkampfsaison, hatte die Mordlust der Vögel den Höhepunkt erreicht: krähend, wild mit den Flügeln schlagend, pickten sie auf alles los. George dachte daran, daß seine Mutter, Miss Malizy, Schwester Sarah und Onkel Pompey oft ihr eintöniges Schicksal beklagten; sie ahnten nicht, welch aufregendes Leben er führte – nur wenige Schritte von ihnen entfernt.
Zwei Tage nach Neujahr hielt George die Kampfhähne fest, während Masser Lea und Onkel Mingo ihnen die Kopffedern abschnipselten, ihre Hals-, Flügel- und Rumpffedern stutzten und die Schwanzfedern zu kurzen geschwungenen Fächern formten. Nicht zu glauben, wie das Stutzen die schlanken kompakten Körper, die schlangenartigen Hälse und die großen Köpfe mit den kräftigen Schnäbeln und den leuchtenden Augen zur Geltung brachte. Bei einigen Vögeln mußten auch die unteren Schnäbel beschnitten werden. »Damit sie sich besser verbeißen können«, erklärte Onkel Mingo. Schließlich wurden die Sporen noch glattgeschabt.
Am Morgen des ersten Kampftages verstauten Mingo und George zwölf ausgewählte Hähne in quadratische, aus Hickoryruten geflochtene Reisekörbe. Onkel Mingo schob jedem Tier ein walnußgroßes Stück mit Zucker vermischter Butter in den Schnabel, dann kam Masser Lea mit dem Wagen, eine Kiste roter Äpfel auf dem Bock. Nachdem George und Mingo die zwölf Körbe aufgeladen hatten, kletterte Mingo zum
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