Wurzeln
geriet, gab es kein Halten. Hähnchen, die zu früh krähten, gehöre der Hals umgedreht, denn vorzeitiges Krähen war ein sicherer Hinweis auf spätere Feigheit. »Die guten Vögel haben das Kämpfen schon im Blut, wenn sie ausschlüpfen; das haben sie von ihren Großvätern und Urgroßvätern geerbt. Der Masser sagt, Mann und Kampfhähne war früher wie heute Mann und Hund. Aber Hähne sind wilder als Hunde oder Stiere oder Bären oder Marder oder auch die meisten Männer! Der Masser sagt, sogar Könige und Präsidenten gehn zum Hahnenkampf, weil das der feinste Sport ist, den’s gibt!«
Onkel Mingo bemerkte, daß George auf die blassen kleinen Narben schaute, von denen seine Hände, Handgelenke und Unterarme kreuz und quer gezeichnet waren, und holte aus seiner Hütte ein Paar gekrümmte Stahlsporen, die in einer nadelfeinen Spitze endeten. »Wenn du später mal Vögel anfassen tust und nicht sehr aufpaßt, sehn deine Hände bald aus wie meine«, sagte Onkel Mingo, und George wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, daß der Alte es für möglich zu halten schien, auch er könnte eines Tages den Kampfhähnen des Masser die Sporen anlegen.
Allerdings folgten zunächst einmal lange Zeitspannen ohne Gespräche, denn seit Jahren redete Mingo mit niemandem außer mit dem Masser und seinen Hähnen. Doch je mehr er sich daran gewöhnte, George um sich zu haben und ihn als seinen Helfer zu betrachten, desto häufiger brach er sein Schweigen, um George einzuprägen, daß nur ganz hervorragend gezüchtete, in Form gebrachte und abgerichtete Kampfhähne gewinnen und Masser Lea Geld einbringen würden.
»Der Masser fürchtet keinen im Ring«, erklärte ihm Onkel Mingo eines Abends, »überhaupt nicht. Am liebsten nimmt er’s mit den wirklich reichen Massers auf, die so an die tausend Vögel halten können, von denen sie dann vielleicht hundert jedes Jahr kämpfen lassen. So viele haben wir nicht, aber der Masser gewinnt doch ’ne ganze Menge Geld von den Reichen. Und weil er bloß ein armer Weißer ist, sind sie wütend auf ihn. Mit guten Vögeln und ein bißchen Glück kann der Masser auch so reich werden wie die …« Onkel Mingo zwinkerte George zu. »Verstehst du mich, Junge? Die meisten Leute wissen gar nicht, wieviel Geld man bei Hahnenkämpfen gewinnen kann. Ich weiß nur eins: lieber nehm ich einen guten Kampfhahn als hundert Morgen Land, Tabak oder Baumwolle. Der Masser auch, und darum steckt er sein Geld nicht in Grund und Boden oder einen Haufen Nigger.«
Der Sonntag begann jetzt für George mit einem Besuch bei der Familie im Sklavenquartier, und Familie war für ihn nicht nur seine Mammy, sondern auch Miss Malizy, Schwester Sarah und Onkel Pompey. Auch jetzt noch – er war schon vierzehn – mußte er Kizzy immer wieder versichern, daß er es ihr nicht nachtrug, daß und wie sie ihn über seinen Vater aufgeklärt hatte. Er dachte jedoch häufig darüber nach, auch wenn er mit niemandem davon redete, am allerwenigsten mit dem Masser. Die Bewohner des Sklavenquartiers waren von Georges neuem Status sehr beeindruckt, ließen sich aber nichts anmerken.
»Vergiß nicht, daß ich dir dein’ dreckigen Hintern abgeputzt hab!« warnte ihn Schwester Sarah eines Sonntags mit grimmiger Miene, hinter der sich herzliche Zuneigung verbarg. »Plustre dich nicht so auf, sonst kriegst du eine!«
George lachte. »Nein, Schwester Sarah. Ich blas mich nicht auf.«
Alle plagte die Neugier zu erfahren, welche geheimnisvollen Dinge dort vor sich gingen, wo er mit den Kampfhähnen lebte. George erzählte ihnen nur alltägliche Geschehnisse. Er habe, sagte er, Kampfhähne gesehen, die eine Ratte getötet, eine Katze verjagt, ja sogar einen Fuchs angegriffen hatten. Die Hennen, berichtete er, konnten genauso angriffslustig sein wie die Hähne und krähten sogar wie diese. Er erklärte ihnen, daß der Masser auf der Hut vor Eindringlingen war, denn auch für Eier von erstklassigen Vögeln erzielte man hohe Preise, von den Tieren selbst ganz zu schweigen, die ein Dieb verkaufen oder gar auf eigene Rechnung kämpfen lassen konnte. Als George erzählte, der reiche Mr. Jewett habe nicht weniger als dreitausend Dollar für einen Kampfhahn bezahlt, rief Miss Malizy: »Du lieber Himmel, drei oder vier Nigger hätte er billiger bekommen!«
Am frühen Nachmittag wurde George ungeduldig und kribbelig und eilte zurück zu seinen Hühnern. Er verlangsamte den Schritt, sobald er die Gehege erreichte, pflückte zartes, frisches, grünes Gras,
Weitere Kostenlose Bücher