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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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heiseren Krähens unzähliger Hähne und des Gebrülls der Wettlustigen hörte George den verletzten Vogel in seinem Korb schwach glucksen. George war zugleich glücklich und bekümmert, und dabei aufgeregt wie nie. An diesem frostigen Wintermorgen wurde ein neuer Hahnenzüchter geboren.

Kapitel 90
    »Seht ihn euch an! Kein Hahn kommt so daherstolziert!« rief Kizzy. George näherte sich beschwingten Schrittes, um den Sonntagvormittag mit seiner Mutter, Miss Malizy, Schwester Sarah und Onkel Pompey zu verbringen.
    »Hm!« machte Schwester Sarah und warf Kizzy einen Blick zu. »Hör doch auf, Frau, wir sind genauso stolz auf ihn wie du!«
    Miss Malizy berichtete noch rasch, was sie gestern abend gehört hatte. Der etwas beschwipste Masser Lea hatte seinen Gästen, allesamt Hahnenkampfliebhaber, eröffnet, er habe einen Jungen, der nach nur vier Jahren Lehrzeit erkennen lasse, daß er schon bald »jedem anderen Hahnenzüchter, schwarz oder weiß, ebenbürtig an die Seite treten kann«.
    »Der Masser sagt, der Junge lebt überhaupt nur noch für die Hühner! Mingo sagt, wie er mal spät am Abend ein bißchen rumgeht, sieht er George so komisch auf ’m Baumstumpf hocken. Er schleicht sich von hinten ran, und da hört er unsern George mit ’n paar Hennen reden, die auf ihren Eiern sitzen. Was die kleinen Hähnchen, die da grade ausgebrütet werden, mal für mutige Gockel werden sollen.«
    »Du lieber Himmel!« rief Kizzy, den Blick liebevoll auf ihren Sohn gerichtet. Nachdem er das Weibervolk wie gewohnt umarmt und abgeküßt und Onkel Pompey die Hand geschüttelt hatte, machten es sich alle auf den Stühlen bequem, die sie aus den Hütten holten. Zuerst erfuhr George die letzten Neuigkeiten, die Miss Malizy in der vergangenen Woche bei den weißen Herrschaften aufgeschnappt hatte. Viel war es diesmal nicht: Angeblich kamen immer mehr Weiße über das große Wasser, die ein unverständliches Kauderwelsch sprachen und die freien Nigger von ihren Arbeitsplätzen verdrängten. Immer öfter war zu hören, daß man diese freien Schwarzen nach Afrika abschieben wollte. George in seiner Abgeschiedenheit bei dem komischen Alten habe gewiß noch nichts davon gehört, und auch nichts von anderen Begebenheiten, »außer, die Hühner haben dir was davon erzählt«. George stimmte lachend zu.
    Sonntags durfte er nicht nur mit seiner Mammy und den anderen beisammen sein, er konnte sich auch von Onkel Mingos Küche erholen, die mehr auf Hühner als auf Menschen eingestellt war. Miss Malizy und Kizzy hielten jederzeit mindestens zwei oder drei von Georges Leibgerichten bereit.
    Gegen Mittag war das gegenseitige Mitteilungsbedürfnis meist erschöpft, und man merkte George an, daß es ihn fortzog. Nach ausgiebigen Küssen, Umarmungen, Händedrücken, Ermahnungen, jeden Tag ordentlich zu beten, zog er schließlich ab, im Korb das Essen, das er mit Onkel Mingo teilen würde.
    Im Sommer verbrachte George den Rest des Nachmittags oft auf einer Weide, wo Mingo ihn herumspringen und Heuschrecken fangen sah, Leckerbissen für die jungen Hähne in ihren Gehegen. Jetzt aber war früher Winter. Die Zweijährigen waren eben erst aus dem Freigehege geholt worden, und George widmete sich einem jener Hähne, die nach Meinung Mingos und des Masser so wild und menschenscheu waren, daß man mit ihnen nichts anfangen konnte. Mitfühlend, aber auch belustigt beobachtete Mingo, wie George das pickende, kreischende, sich wehrende Hähnchen an sich drückte, leise auf es einredete, ihm sanft auf den Kopf blies, das Gesicht an seinen glänzenden Federn rieb, ihm Beine und Flügel massierte, bis das Tier sich tatsächlich beruhigte.
    Mingo wünschte ihm Glück, nur sollte George nie vergessen, was er ihm einmal über unverläßliche Vögel gesagt hatte. Zucht und Schulung von Kampfhähnen konnte ein Vermögen einbringen, und dieses Vermögen konnte auf einen Schlag verloren sein, wenn man sich von Gefühlen leiten ließ. Man durfte es einfach nicht riskieren, einen Hahn kämpfen zu lassen, der Schwächen aufwies, und wären sie noch so gering. Konnte man ihm die nicht abgewöhnen – nun, George hatte mittlerweile gelernt, einem Vogel seelenruhig den Hals umzudrehen. Wie Onkel Mingo und der Masser meinte auch George, daß es nur lohnte, sich mit Vögeln abzugeben, die gelehrig waren, deren angeborener Mut und instinktive Aggressivität erwarten ließen, daß sie im Ring lieber tot umfallen als den Kampf aufgeben würden.
    George sah es gern, wenn die Hähne

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