Wurzeln
Masser Lea die Jungen und die Zuchthähne in ihren Verschlägen und schließlich auch die prachtvollen Tiere, die Hühner-George besonders betreute und trainierte. Masser Lea war zufrieden mit dem, was er sah. Dann kam er auf die bevorstehende Reise zu sprechen. Er meinte, sie würden fast sechs Wochen brauchen, um in dem schweren neuen Wagen, den er in Greensboro in Auftrag gegeben hatte, nach New Orleans zu gelangen. Dieser Wagen war eine Sonderanfertigung, mit zwölf herausnehmbaren Hühnerverschlägen, einer besonders ausgelegten Werkbank zum Training der Tiere während der Reise und einer Anzahl von Gestellen, Fächern und Behältern, so wie Masser Lea sie für den Transport der Kampfhähne und des ganzen Zubehörs für lange Reisen angeordnet hatte. Der Wagen sollte in zehn Tagen fertig sein.
Als Masser Lea fortgegangen war, vertiefte sich Hühner-George wieder in sein Tagewerk. Er strapazierte die Kampfhähne aufs äußerste. Der Masser hatte ihm erlaubt, sich bei der Auswahl der Tiere auf sein eigenes Urteil zu verlassen und alle Tiere, bei denen er den kleinsten Fehler entdeckte, auszusondern, da nur wirklich erstklassige Hähne bei den Wettkämpfen, die sie in New Orleans erwarteten, eine Chance hatten. Während George mit den Tieren arbeitete, freute er sich auf die Musik, die er, wie man ihm berichtet hatte, in New Orleans hören würde, und auf all die großen Blasorchester, die durch die Straßen zogen. Der schwarze Matrose, dem er in Charleston begegnet war, hatte ihm auch erzählt, daß sich jeden Sonntagnachmittag Tausende von Menschen auf einem öffentlichen Platz, der »Place Congo« hieß, versammelten, um Hunderten von Sklaven zuzuschauen, die afrikanische Tänze aus ihrer Heimat aufführten. Und der Matrose hatte geschworen, daß die Küste von New Orleans alles übertreffen würde, was er je gesehen hätte. Und die Frauen erst! Es gab jede Menge, hatte der Matrose gesagt, exotisch und leicht zu haben, jede Art und jede Farbe, »Kreolinnen«, »Octoroons« und »Quadroons« würden sie genannt. Er konnte es kaum erwarten.
Am späten Nachmittag entschloß sich George – wozu er schon mehrmals die Absicht gehabt hatte, aber immer war ihm irgendeine andere Beschäftigung dazwischengekommen –, an der verschmutzten und nach Fäulnis riechenden Hütte Onkel Mingos anzuklopfen und einzutreten.
»Wie geht’s?« fragte George. »Brauchst du irgendwas?« Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der alte Mann sah erschreckend bleich und schwach aus – aber er war über das ihm aufgezwungene Nichtstun so wütend wie selten.
»Raus! Hau ab! Geh und frag den Masser, wie’s mir geht! Der weiß es ja besser wie ich!« Da Onkel Mingo zweifellos allein gelassen werden wollte, verließ Hühner-George seine Hütte und fand, daß Mingo allmählich wie seine zähen ausgerupften alten Kampfhähne wurde – jene alten Schlachtveteranen, die bei zunehmendem Alter zwar keine Kraft mehr, aber ihren ganzen kämpferischen Instinkt bewahrten.
Als er auch mit den letzten Tieren die Übungen zur Stärkung der Flügel durchgeführt und sie in ihre Verschläge zurückgebracht hatte, war die Sonne eben untergegangen, und Hühner-George fühlte sich endlich frei, seiner Familie wenigstens einen kurzen Besuch abzustatten. Er trat in seine Hütte, freute sich, Kizzy bei Matilda anzutreffen, und erzählte ihnen unter viel Gekicher und Schmunzeln von seinem morgendlichen Gespräch mit dem Masser über seinen Sohn, der Tom heißen sollte. Als er geendet hatte, bemerkte er überrascht, daß sie alles andere als erfreut zu sein schienen.
Matilda sprach zuerst, und sie sagte ganz beiläufig und so, als ginge es sie nichts an: »Nun ja, schließlich gibt’s ’ne Menge Toms auf dieser Welt.«
Seine Mammy sah aus, als hätte sie soeben ein Stück Seife gekaut. »Nehme an, daß Tilda und ich einer Meinung sind, sie will dir wohl deine Freude für den Masser nicht verderben. Ist auch gar nichts auszusetzen an dem Namen. Ich wünschte nur, das arme Kind würde nach einem andern Tom genannt –« Sie zögerte und fügte dann rasch hinzu: »Das ist jedenfalls meine Meinung – ist ja nicht mein Kind und meine Angelegenheit!«
»Ist aber die Angelegenheit Gottes!« fuhr Matilda dazwischen und holte ihre Bibel. »Bevor das Kind auf die Welt kam, hab ich in der Bibel nachgesehn, was da über Namen steht.« Sie blätterte rasch durch die abgegriffenen Seiten, fand die Stelle, nach der sie gesucht hatte, und las laut vor: »Der
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