Wurzeln
alt, und nie zuvor hatten ihm die Menschen aus dem Sklavenquartier so viel Zuneigung und Respekt entgegengebracht.
Seine beiden kleinen Schwestern klammerten sich an ihn und schwatzten auf ihn ein, als sich plötzlich von fern eine bekannte Stimme wie ein Trompetensignal vernehmen ließ.
»Jesses, sieh mal, wer da kommt«, rief Matilda. »Herr Kampfhahn persönlich.« Die Frauen eilten ins Haus, um das Festmahl auf den Tisch zu bringen.
Als Hühner-George im Sklavenquartier ankam und seinen Sohn Tom erblickte, strahlte er. »Sieh mal an, wer hier plötzlich heimgekehrt ist!« Er gab Tom einen gewaltigen Schlag auf die Schulter. »Hast du schon Geld verdient?«
»Nein, Pappy. Noch nicht.«
»Das ist mir aber ein schöner Schmied, der nicht mal Geld verdient«, sagte George mit gespieltem Erstaunen.
Tom erinnerte sich, daß er sich stets wie in einem Windsturm gefühlt hatte, wenn die bombastische Redeweise seines Vaters ertönte. »Ich hab noch lang bis zum richtigen Schmied, Pappy. Ich versuch ja erst zu lernen«, sagte er.
»Na, dann sag mal dem Nigger Isaiah, daß er sich beeilt und dir was beibringt!«
»Ja, Pappy«, sagte Tom mechanisch und dachte dabei, daß er kaum jemals auch nur die Hälfte dessen erlernen würde, was Mr. Isaiah sich mit aller Geduld bemühte, ihm beizubringen. Er fragte: »Kommt der kleine George nicht zum Essen?«
»Vielleicht kommt er noch zur rechten Zeit, vielleicht auch nicht«, sagte Hühner-George. »Der Bengel ist einfach zu faul. Ist immer noch nicht mit der Arbeit fertig, die ich ihm heute früh aufgetragen hab, und da hab ich ihm gesagt, er soll sich bloß nicht blicken lassen, bevor er fertig ist!« Hühner-George ging zu Onkel Pompey hinüber. »Das freut mich aber, daß du endlich mal wieder aus deiner Hütte raus bist, Onkel Pompey. Wie geht’s denn so?«
»Mäßig, mein Sohn, sehr, sehr mäßig. Ich alter Kerl taug halt nichts mehr für nichts, und damit hat es sich.«
»Erzähl keinen Quatsch. Das sind doch Flausen!« rief Hühner-George und wandte sich lachend wieder Tom zu. »Dein alter Onkel Pompey ist einer von den Niggern, die wie die Eidechsen sind. Der kann noch hundert Jahr alt werden! War schon gute zwei- oder dreimal schwer krank, seit du weg bist, und jedesmal haben die Weiber schon geheult, weil sie dachten, er schafft’s nicht, aber jedesmal ist er doch wieder aufgestanden!«
Die drei lachten noch, als Großmutter Kizzy laut zu ihnen herüberrief: »Bringt mir den Pompey jetzt rüber zu Tisch!« Trotz der Kühle des Tages hatten die Frauen einen langen Tisch unter dem großen Kastanienbaum aufgestellt, so daß sie ihr Thanksgiving-Mahl alle gemeinsam genießen konnten.
James und Lewis trugen Onkel Pompey auf seinen Stuhl, und Schwester Sarah lief ihnen besorgt nach.
»Laßt ihn bloß nicht fallen, noch ist er nicht zu alt, euch tüchtig den Hintern zu versohlen«, rief Hühner-George.
Als endlich alle saßen, Hühner-George am oberen Tischende, wandte Matilda sich absichtsvoll an Tom: »Sprich du das Tischgebet, mein Junge.« Der überraschte Tom wünschte, er hätte sich darauf vorbereitet und sich beizeiten ein Gebet für das Glück einer wiedervereinten Familie ausgedacht. Aber da ein jeder schon den Kopf gesenkt hielt, fiel ihm nur noch das gewohnte »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast« ein. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen.«
»Amen! – – – Amen!« hallte es im Chor wieder. Und dann begannen Matilda, Großmutter Kizzy und Schwester Sarah umherzurennen, vollgehäufte, dampfende Schüsseln und Teller herbeizubringen und alle zu ermuntern, tüchtig zuzulangen – erst dann setzten auch sie sich. Einige Minuten lang wurde kein Wort gesprochen, alle aßen wie die Halbverhungerten und gaben nur genießerische und schmatzende Geräusche von sich. Matilda und Kizzy füllten mehrere Male Toms Glas mit frischer Buttermilch, luden ihm wiederholt Fleisch, Gemüse und Maisbrot auf den Teller und begannen schließlich, ihn gründlich auszufragen.
»Armer Junge, geben sie dir da drüben auch genug zu essen? Wer kocht denn da für euch?« fragte Matilda.
Tom schluckte schnell seinen Bissen hinunter und antwortete: »Mister Isaiahs Frau, Miss Emma.«
»Was für ’ne Farbe hat sie denn, und wie sieht sie überhaupt aus?« fragte Kizzy.
»Sie ist schwarz und ziemlich dick.«
»Das hat doch nichts mit ihrem Kochen zu tun«, grölte Hühner-George lachend. »Taugt ihr Essen was,
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