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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hatte gar nicht bemerkt, wie seine kleinen Schwestern Kizzy und Mary hinausgelaufen waren, den anderen Brüdern atemlos die Neuigkeit zu hinterbringen.
    Der schlaksige Virgil, der gerade von der Arbeit in der Scheune zurückkam und sich eben zu seiner neuen Braut auf die Pflanzung begeben wollte, brummte nur ein paar unverständliche Worte und lief an dem freudestrahlenden Tom vorbei, der seinerseits Virgils Eile, über den Besen zu springen, sehr komisch fand.
    Dann straffte sich Tom, als er den kräftigen, breitschultrigen achtzehnjährigen Ashford in Begleitung seiner jüngeren Brüder James und Lewis kommen sah. Irgendwie waren Tom und Ashford nie gut miteinander ausgekommen, und daher war ihm Ashfords verbitterte Reaktion nicht weiter verwunderlich.
    »Bist ja schon immer der liebe kleine Junge gewesen! Hast allen Honig um den Bart geschmiert, damit du bloß was von ihnen kriegst! Und jetzt haust du einfach ab, und wir schuften weiter auf den Feldern und können sehn, wo wir bleiben!« Er schwenkte seinen Arm, als wolle er zum Schlag ausholen, während James und Lewis ganz verschreckt dreinblickten. »Paß bloß auf, wir sprechen uns noch!« Mit diesen Worten stampfte Ashford von dannen, und Tom blickte ihm lange nach; er wußte, eines Tages würde es zwischen ihm und Ashford zu einem großen Auftritt kommen.
    Was Tom von »Klein George« zu hören bekam, klang ebenso bitter, wenn auch weniger feindselig. »Ach, könnt ich doch auch weg hier. Wegen Pappy muß ich mich noch kaputt schuften! Nur weil ich seinen Namen trag, meint er, ich müßte ebenso verrückt auf die Hühner sein wie er. Dabei hasse ich diese stinkigen Viecher!«
    Die zehnjährige Kizzy und die achtjährige Mary, die die Nachricht verbreitet hatten, wichen den ganzen Nachmittag nicht mehr von Toms Seite, und ihre schüchterne Anhänglichkeit gab klar zum Ausdruck, daß er ihr angebeteter und allerliebster großer Bruder war.
    Am nächsten Morgen begleiteten Virgil, Kizzy, Schwester Sarah und Matilda Tom bis zum Mauleselwagen und kehrten gleich danach zu ihrer Feldarbeit zurück. Großmutter Kizzy meinte: »Wenn uns jemand gesehn hätte, wie wir geschluchzt, geflennt und rumgetan haben, der hätt ja glauben können, daß wir dem Kind auf immer Lebewohl sagen.«
    »Ach was! Der ist doch kein Kind mehr, meine Liebe!« rief Schwester Sarah. »Tom ist der nächste richtige Mann , den wir haben werden!«

Kapitel 102
    Virgil hatte sich von Masser Lea ein besonderes Reisepapier ausstellen lassen, eine Laterne an den Mauleselwagen gehängt und war kurz vor Thanksgiving durch die Nacht gefahren, um Tom noch rechtzeitig zum Festmahl von der Askew-Pflanzung abzuholen. Neun Monate war er nun schon fort. Als der Wagen an jenem kalten Novembernachmittag die Auffahrtsstraße zu Leas Haus hinaufrollte und Virgil das Maultier auf einen raschen Trab brachte, mußte Tom die Tränen niederhalten. Da lag das heimatliche Sklavenquartier wieder vor ihm, und er sah all jene, die er so schmerzlich vermißt hatte, wartend vor ihren Hütten stehen. Sie winkten, riefen ihn beim Namen, und schon war er mit seinem Sack voller selbstgefertigter Geschenke vom Wagen gesprungen und ließ sich von dem versammelten Frauenvolk herzen und küssen.
    »Ach, der gute Junge!« – – – »Sieht er nicht prächtig aus?« – – – »Kann man wohl sagen! Schau doch nur, wie kräftig seine Schultern und Arme geworden sind!« – – – »Oma, laß mich Tom einen Kuß geben!« – – – »Laß mich auch mal ran. Zerdrück ihn nur nicht. Komm, Kind, komm zu mir!« Über die Schultern der Frauen hinweg erhaschte Tom einen Blick auf seine beiden jüngeren Brüder James und Lewis. Daß der kleine George mit dem Vater bei den Hühnern war, wußte er, und Virgil hatte ihm auch erzählt, daß der Masser Ashford Erlaubnis erteilt habe, ein Mädchen auf einer anderen Pflanzung zu besuchen.
    Dann sah er den gewöhnlich bettlägerigen Onkel Pompey vor seiner Hütte. In eine warme Decke gehüllt, saß er auf einem alten Korbstuhl. Sowie Tom sich frei machen konnte, lief er zu dem alten Mann hinüber und ergriff seine weiche, zittrige Hand. Er neigte sich über ihn, um die brüchige, fast flüsternde Stimme zu verstehen.
    »Wollte nur sicher sein, daß du wirklich zurück bist, mein Junge –«
    »Ja. Ich freu mich so, daß ich wieder da bin, Onkel Pompey!«
    »Gut, mein Junge, ich seh dich ja noch«, sagte der Alte.
    Tom hatte Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten. Er war jetzt sechzehn Jahre

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