Wurzeln
die Weißen sprachen. »Ja, da war so ’ne Sache, von der sie erzählt haben – so ein Ding, das sie Telegraph nennen. Irgend so ein Masser Morse in Washington hat sich ganz richtig mit jemand in Baltimore unterhalten. Er soll gesagt haben: ›Was hat Gott denn erschaffen?‹, hab aber nie rausgefunden, was das heißen soll.«
Alle am Tisch wandten sich Matilda, ihrer Bibelexpertin, zu, sie schien aber verwirrt zu sein. »Ich – ich bin mir da wirklich nicht sicher«, sagte sie zögernd, »aber ich glaub nicht, daß ich so was schon mal in der Bibel gelesen hab.«
»Ich weiß nicht warum, Mammy«, sagte Tom, »aber ich glaub, das hat gar nichts mit der Bibel zu tun. Es war grad irgendwer, der von weit her durch die Luft gesprochen hat.«
Er fragte, ob sie vor ein paar Monaten gehört hätten, daß Präsident Polk in Nashville, Tennessee, an Durchfall gestorben und Präsident Zachary Taylor ihm nachgefolgt sei.
»Das weiß doch jeder!« rief Hühner-George.
»Na, wenn du’s so genau weißt, warum hab ich dich noch nie drüber reden hören«, fragte Schwester Sarah.
Dann wieder Tom: »Die weißen Leute, besonders die jungen, singen jetzt Lieder, die so wie unsre klingen sollen, aber sie wurden von einem Masser Stephen Foster geschrieben.« Er sang die wenigen Zeilen, an die er sich noch erinnern konnte, und summte die Melodie von »My Ol’ Kentucky Home« und »Ol’ Black Joe«.
»Klingt mir ganz so, wie wenn’s von Niggern wär!« rief Großmutter Kizzy.
»Mister Isaiah sagt, daß dieser Masser Foster viel Zeit bei den Niggern in den Kirchen und auf den Flußdampfern und Docks verbracht hat.«
»Deshalb!« sagte Matilda. »Aber hast du noch nie von Liedern gehört, die wir selbst gemacht haben?«
»Doch, Mammy«, sagte Tom. Dann erzählte er von den freien Schwarzen, die hier und da Mr. Isaiah Arbeit brachten und ständig von berühmten Schwarzen im Norden redeten. Die kämpften dort gegen die Sklaverei, reisten unentwegt herum und hielten in vollen Sälen Vorträge über ihr Sklavenleben vor ihrer Befreiung, und das Publikum spendete ihnen tränenreichen Beifall. »Da ist einer, der Frederick Douglass heißt«, sagte Tom. »Man erzählt, daß er in Maryland als Sklave aufgewachsen ist, sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht hat, dann gearbeitet hat, bis er genügend zusammengespart hatte, um sich von seinem Masser freizukaufen.« Matilda warf Hühner-George einen bedeutungsvollen Blick zu, und Tom fuhr fort: »Sie erzählen auch, daß sich Hunderte versammeln, wo er spricht, und daß er ein Buch geschrieben hat, sogar eine Zeitung soll ihm gehören.«
»Es gibt aber auch berühmte Frauen, Mammy.« Tom schaute Matilda, Großmutter Kizzy und Schwester Sarah an und erzählte ihnen von einer ehemaligen Sklavin namens Sojourner Truth, die über 1,80 m groß war und ebenfalls vor vielen Weißen und Schwarzen ihre Vorträge hielt, obgleich sie weder lesen noch schreiben konnte.
Großmutter Kizzy sprang von ihrem Stuhl auf und fuchtelte wild herum. »Jetzt weiß ich’s. Ich muß schnellstens in den Norden und erzählen, was ich auf dem Herzen hab.« Sie tat so, als hielte sie eine Ansprache: »Ihr weißen Leute, hört mal her, was Kizzy euch zu sagen hat! Diesen Mist lassen wir uns nicht länger gefallen! Wir Nigger sind es leid, für euch als Sklaven zu schuften!«
»Na hör mal, Mammy. Der Junge hat doch grade gesagt, daß die Frau da über 1,80 m groß ist! Du bist zu klein!« prustete Hühner-George, während die anderen am Tisch ihn mit gespielter Empörung anschauten. Und als sei sie schwer gekränkt, nahm Großmutter Kizzy wieder Platz.
Tom erzählte ihnen jetzt von einer anderen berühmten entlaufenen Sklavin. »Sie heißt Harriet Tubman. Man kann gar nicht sagen, wie oft sie wieder in den Süden gekommen ist und wie viele von unsern Leuten sie in die Freiheit im Norden geführt hat. Man nennt das die Untergrund-Eisenbahn. Sie hat’s so stark getrieben, daß die Weißen schon 40000 Dollar Belohnung ausgesetzt haben, wenn man sie fängt – tot oder lebendig.«
»Barmherziger Gott, das hätt ich nie gedacht, daß die Weißen so viel Geld ausgeben, bloß um einen Nigger zu fangen!« staunte Schwester Sarah.
Er erzählte ihnen auch, daß zwei Weiße in einem weit abgelegenen Staat namens California eine Sägemühle aufgebaut und unversehens große Mengen Gold unter der Erde gefunden hatten und daß nun Tausende von Menschen in ihren Wagen, auf Mauleseln, manche sogar zu Fuß an diesen Ort
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