Wurzeln
es schon was andres. Da ist vorläufig nichts zu machen wie abwarten. Der wird schon eines Tages einfach hier ankommen –«
Mary kicherte dazwischen: »Mit dem langen, grünen Schal und dem schwarzen Hut auf dem Kopf!«
»Genauso wird’s sein, mein Kind.« Matilda lächelte wie die anderen und fuhr dann fort: »Das wegen Oma, Sarah und Malizy muß ich euch ja nicht noch mal sagen. Hab Missis Murray schon davon erzählt, und sie hat versprochen, uns zu helfen. Hab’s ihr in den stärksten Farben ausgemalt, wie’s uns allen fast das Herz gebrochen hat, daß wir sie dalassen mußten. Lieber Gott! Die Missis hat gleich mit mir mitgeweint! Sie sagt, hat keinen Zweck, daß sie Masser Murray drum bittet, daß er drei so alte Frauen kauft, sie hat aber versprochen, daß sie ihn bestimmt bitten wird, er soll Tom und euch allen erlauben, ’n bißchen Geld mit Arbeiten außer Haus zu verdienen. Denkt dran. Wir arbeiten hier nicht nur für den neuen Masser, sondern damit wir unsere Familie wieder zusammenbekommen.«
Mit diesem Vorsatz ging die Familie in die Erntesaison 1856. Matilda eroberte sich durch ihre Treue und Offenheit, ihre Kochkünste und ihr peinlich genaues Haushalten das Vertrauen und die Sympathie von Missis und Masser Murray. Der Masser sah, wie Virgil seine Brüder und Schwestern ständig ermahnte, in diesem Jahr eine bessere Tabakernte einzubringen. Er sah, wie Tom mit seinen Reparaturen die ganze Pflanzung vorbildlich instand setzte, wie er mit großem Geschick Werkzeuge anfertigte, rostigen Schrott in glänzendes neues landwirtschaftliches Gerät sowie praktische und dekorative Haushaltsgegenstände verwandelte.
Fast jeden Sonntagnachmittag kamen, falls die Murrays nicht selbst irgendwo auf Besuch waren, Nachbarn mit ihren Familien oder alte Freunde aus Burlington, Graham, Haw River, Mebane und anderen Orten. Dann führten die Murrays ihre Gäste im Haus herum und zeigten ihnen stets mit Stolz verschiedene Zeugnisse von Toms Schmiedekunst. Manche Gäste, ob sie nun auf dem Lande oder in der Stadt wohnten, baten dann Masser Murray, Tom entweder bei ihnen einige Reparaturarbeiten ausführen oder etwas Besonderes für sie anfertigen zu lassen, und Masser Murray sagte jedesmal zu. Im Laufe der Zeit konnte man immer mehr von Tom verfertigte Gegenstände überall in Alamance County sehen, und die Kunde von seiner Kunstfertigkeit verbreitete sich rasch. So erübrigte sich Missis Murrays Bitte an ihren Mann, sich für Tom um Arbeit außer Haus zu bemühen. Bald kamen täglich junge und alte Sklaven auf Mauleseln oder zu Fuß herbei und brachten Tom zerbrochenes Werkzeug oder andere Gegenstände zum Reparieren. Einige Pflanzer gaben Skizzen der Gegenstände mit, die er für sie anfertigen sollte. Gelegentlich machten die Aufträge der Kunden es auch erforderlich, daß Masser Murray Tom einen Passierschein ausstellte, damit er auf einem Maulesel zu anderen Pflanzungen oder in die umliegenden Städte reiten konnte, um Reparaturen an Ort und Stelle auszuführen. Tom arbeitete jeden Tag, außer sonntags, vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit, und er bewältigte jetzt mindestens ebensoviel wie sein Lehrmeister, Mr. Isaiah. Die Kunden bezahlten bei Masser Murray, entweder im Herrenhaus oder wenn sie ihn in der Kirche sahen, vierzehn Cents pro Huf für das Beschlagen von Pferden, Mauleseln oder Ochsen, siebenunddreißig Cents für einen neuen Wagenreifen, achtzehn Cents für das Schleifen einer Hacke. Die Preise für Ziergerät und Sonderanfertigungen wurden je nach Arbeit ausgehandelt: zum Beispiel fünf Dollar für ein mit Eichenblättern verziertes Gittertor. An jedem Wochenende rechnete Masser Murray mit Tom ab und zahlte ihm zehn Cents von jedem Dollar, den die Arbeit der letzten Woche eingebracht hatte. Tom nahm das Geld dankbar entgegen und gab es seiner Mutter Matilda, die es sogleich in eines ihrer Weckgläser an einer geheimen Stelle, die nur ihr und Tom bekannt war, versenkte.
Für die Feldarbeiter der Familie endete die Woche am Samstagmittag. Klein Kizzy und Mary, inzwischen neunzehn und siebzehn Jahre alt, nahmen rasch ein Bad, umwickelten ihre kurzen wollig-krausen Zöpfe mit einem Stück Band und rieben sich die Gesichter mit Bienenwachs ein, bis sie schön schwarz glänzten. Dann zogen sie sich ihre besten frisch gestärkten und gebügelten bunten Baumwollkleider an und erschienen in der Schmiede. Die eine brachte stets eine Kanne Wasser, manchmal auch Limonade, die andere eine
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