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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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ließ er Tom wissen, Mr. Edwin Holt, der Besitzer der Holt-Baum­woll­spin­ne­rei, habe sich an ihn gewandt, und zwar seien Missis Holt kürzlich einige besonders schöne Stücke von Toms Schmiedekunst zu Gesicht gekommen, sie sei sehr beeindruckt davon gewesen und habe nun selbst eine kleine Skizze für ein Fensterziergitter gezeichnet und hoffe, daß Tom dieses bald anfertigen und auf »Locust Grove« anbringen könne.
    Mit einem von Masser Murray ausgestellten Reisepapier ritt Tom früh am nächsten Morgen auf einem Maulesel los, sich die Skizzen anzusehen und die Fenster auszumessen. Der Masser hatte ihm gesagt, um die inzwischen in der Schmiede anfallenden Arbeiten brauche er sich nicht zu sorgen, und hatte ihm gezeigt, wie man am besten die Haw River Road entlang bis zu der Stadt Graham und dann die Graham Road nach Bellemont Church reitet, wo man rechts abbiegt und dann nach weiteren zwei Meilen zum Anwesen der Holts gelangt, das schon von weitem sichtbar wäre.
    Tom kam an, wies sich bei einem schwarzen Gärtner aus, und man hieß ihn vor dem Haus warten. Bald kam Missis Holt heraus und beglückwünschte Tom freundlich zu den Arbeiten, die sie von ihm gesehen hatte. Sie zeigte ihm ihre Skizzen, und Tom studierte sie eingehend. Sie stellten ein Fenstergitter dar, das wie eine mit Trauben und Blättern bewachsene Laube wirkte. »Ich glaub, das kann ich schaffen. Ich werd mich wenigstens bemühen, Missis«, sagte er, aber er wies auch darauf hin, daß die Arbeit etwa zwei Monate in Anspruch nehmen würde, denn es sollten eine Menge Fenster vergittert werden. Missis Holt war sehr einverstanden, gab Tom ihre Skizzen und verließ ihn einstweilen, damit er jedes einzelne Fenster des Hauses genau ausmessen könne.
    Am frühen Nachmittag war Tom gerade mit den Verandafenstern im Obergeschoß beschäftigt, als er plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, und als er sich umschaute, erblickte er ein auffallend hübsches rötlichbraunes Mädchen mit einem Staubtuch in der Hand, das vom offenen Fenster nebenan unverwandt zu ihm herübersah. Sie trug die schlichte Tracht eines Zimmermädchens, hatte das glatte schwarze Haar zu einem großen Zopf im Nacken geflochten und hielt Toms forschendem Blick mit freundlicher Gelassenheit stand. Nur seiner angeborenen Zurückhaltung war es zu danken, daß er seine innere Erregung beherrschen konnte. Er zog seinen Hut und sagte höflich: »Tag, Miss.«
    »Tag!« erwiderte sie mit einem strahlenden Lächeln und verschwand. Auf seinem Nachhauseritt zur Murray-Pflanzung stellte Tom überrascht und irritiert fest, daß er sie nicht aus seinen Gedanken zu vertreiben vermochte. Und abends im Bett fiel ihm schlagartig ein, daß er sie nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte. Ihr Alter schätzte er auf neunzehn, vielleicht zwanzig Jahre. Endlich schlief er ein, erwachte aber sogleich wieder, gequält von dem Gedanken, daß ein so hübsches Mädchen sicher schon längst verheiratet war oder einen ständigen Freund hatte.
    Das Anfertigen der Gitterrahmen war reine Routinearbeit. Tom brauchte sechs Tage dazu, dann begann er, weißglühende Eisenstangen so lange durch die Stahlösen, von denen er einen ganzen Satz hatte, zu ziehen, bis sie so dünn wie Ranken von Efeu oder Wein waren. Er erhitzte sie noch einmal und bog sie auf die verschiedenste Weise zurecht, doch das Ergebnis befriedigte ihn nicht, und so begab er sich von nun an allmorgendlich auf einen Spaziergang, um Wuchs und Windungen der wilden Ranken zu studieren. Erst danach meinte er, sie richtig nachbilden zu können.
    Die Arbeit machte gute Fortschritte, und Masser Murray mußte täglich seinen unwilligen Kunden in der Schmiede erklären, daß Tom vorläufig nur die allerdringlichsten Reparaturen ausführen könne, bis er seine große Arbeit für Mr. Edwin Holt abgeschlossen hätte. Das besänftigte den Ärger der meisten. Masser Murray und auch die Missis kamen nun häufig in die Schmiede, sein Werk zu bewundern, brachten manchmal auch Besucher mit, und bisweilen standen sie zu zehnt oder zwölft um Tom herum und sahen ihm bei der Arbeit zu. Er hämmerte, schmiedete und war heilfroh, daß all die Zuschauer gar nicht zu erwarten schienen, daß der Schmied von ihnen Notiz nahm, solange er beschäftigt war. Gewöhnlich behandelten ihn die meisten Sklaven, die ihm Reparaturarbeiten ihrer Massers überbrachten, besonders mürrisch oder betont herablassend; sowie jedoch ein Weißer hinzukam, begannen alle sogleich dumm zu

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