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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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und die alte Axt am Boden daneben. Mit einem Sprung war er dort, ergriff die Axt, legte die Kassette mit dem Schloß nach oben auf den Block, und mit einem scharfen Hieb hatte er sie geöffnet. Scheine, Münzen, zusammengefaltete Papiere fielen heraus, und unter ihnen erkannte er sofort, was er suchte.
    »Was machst du da, Junge?«
    Er wäre fast in den Boden versunken. Aber es war nur Miss Malizy, die, völlig unbewegt und ruhig vor sich hin starrend, auf ihrem Baumstumpf saß.
    »Was hat der Masser gesagt?« fragte sie teilnahmslos.
    »Ich muß jetzt weg, Miss Malizy!«
    »Na, dann geh mal lieber –«
    »Werd Tilda und den Kindern Grüße ausrichten –«
    »Ist recht, mein Junge – Paß gut auf dich auf –«
    »Ja, Miss Malizy –« Er umarmte sie rasch.
    Sollte mir noch schnell die Gräber ansehn. Dann dachte er aber, daß es besser sei, sich an seine Mammy Kizzy und Schwester Sarah so zu erinnern, wie er sie lebend gekannt hatte. Hühner-George ließ noch einen letzten Blick über die verfallene Stätte schweifen, an der er geboren und aufgewachsen war. Ganz unerwartet brach er in Schluchzen aus, ergriff sein Freiheitspapier, schwang sich auf sein Pferd und stürmte im Galopp durch das hohe Unkraut den Zufahrtsweg hinunter. Er blickte sich nicht einmal um.

Kapitel 109
    Irene war in der Nähe des Zauns an der Hauptstraße eifrig mit dem Pflücken von Blättern für ihre aromatischen Trockenessenzen beschäftigt, als der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes sie aufblicken ließ. Wie gebannt starrte sie zuerst auf den Reiter mit seinem im Winde wehenden grünen Schal und dem mit einer großen Hahnenfeder geschmückten schwarzen Hut, rannte auf die Straße, schwenkte wild die Arme und rief aus vollem Halse: »Hühner-George! Hühner-George!«
    Der Reiter brachte sein schnaubendes Pferd am Zaun zum Stehen, blickte sich um und erwiderte ihr Lächeln: »Kenn ich dich, Mädchen?«
    »Nein, das nicht. Getroffen haben wir uns noch nie, aber Tom und Mammy Tilda und die ganze Familie haben so viel von dir erzählt, daß ich weiß, wie du aussiehst.«
    Er starrte sie an: » Mein Tom und meine Tilda?«
    »Ja doch! Deine Frau und mein Mann – der Vater von meinem Baby.«
    Er brauchte ein paar Sekunden, bis er sich zurechtfand. »Du und Tom – ihr habt ein Kind?« Sie nickte, strahlte und klopfte sich auf ihren vorgewölbten Bauch. »In einem Monat kommt’s!« Er schüttelte den Kopf. »Allmächtiger Gott! Wie heißt du denn?«
    »Irene.«
    Sie wies ihm den Weg und rannte schwerfällig und so schnell sie sich in ihrem Zustand traute, voraus, bis sie in Hörweite des Feldes waren, wo Virgil, Ashford, Klein George, James, Lewis, Klein Kizzy und Lilly Sue bei der Arbeit waren. Auf Irenes lautes Rufen hin erschien zuerst die besorgt dreinschauende Klein Kizzy, aber als sie ihren Vater sah, rannte sie sofort zurück, die unglaubliche Nachricht zu verkünden. Schließlich kamen sie alle atemlos im Sklavenquartier an, wo sie sich fröhlich und lärmend um ihren Vater, ihre Mutter und Tom versammelten und alle gleichzeitig versuchten, den von diesem herzlichen Empfang völlig überwältigten Hühner-George zu umarmen.
    »Ist vielleicht besser, ihr hört zuerst mal die schlechten Nachrichten«, sagte er und berichtete ihnen vom Tode Oma Kizzys und Schwester Sarahs. »Die alte Missis Lea ist auch unter der Erde.«
    Als die Bezeigungen von Trauer und Kummer über deren Verlust sich etwas gelegt hatten, beschrieb er ihnen Miss Malizys Zustand und darauf sein Erlebnis mit Masser Lea, das mit dem Fund des Freiheitspapiers geendet hatte. Er zeigte es triumphierend herum. Dann, nach dem Abendessen, die Nacht war schon hereingebrochen, begann er endlich, seiner begeistert zuhörenden Familie von seinen fast fünf in England verbrachten Jahren zu erzählen.
    »Ich kann euch nur sagen – von alldem, was ich da über dem großen Wasser alles gesehn und gemacht hab, könnt ich euch noch ’n ganzes Jahr erzählen! Gott noch mal!« Aber er berichtete ihnen wenigstens in groben Zügen von Sir C. Eric Russells sagenhaftem Reichtum und hohem gesellschaftlichem Ansehen, von seiner edlen Abstammung und seinen stets siegreichen Kampfhähnen. Und er schilderte, welches Aufsehen er als schwarzer Kampfhahntrainer in den Hahnenkampfkreisen Englands erregt hatte, in jenen feinen Kreisen, wo die vornehmen Damen mit ihren kleinen in Samt und Seide gekleideten afrikanischen Pagen spazierengingen, denen sie goldene Ketten um den Hals gelegt

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