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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Kunta den Gruß, und Lamin erwiderte. Kunta konnte im Gesicht des Bruders lesen, daß dieser stolz auf ihn war, er sah aber auch, daß der Bruder soeben eine Kränkung erfahren hatte, ähnlich jener, der Kunta eben erst in Nyo Botos Hütte ausgesetzt worden war. Offenbar wußte Lamin nicht recht, was von diesem älteren Bruder jetzt zu erwarten war. Kunta ging durch den Kopf, daß, wäre es nach ihm gegangen, keine Entfremdung zwischen ihm und Lamin eingetreten wäre, doch war es nun einmal notwendig, daß der Mann mit Respekt behandelt wurde, auch von seinem eigenen jüngeren Bruder.
    Jetzt sprach Lamin als erster: »Deine beiden Ziegen sind trächtig.« Das freute Kunta, denn es bedeutete, daß er bald vier, wenn nicht gar fünf Ziegen haben würde, falls eines der Muttertiere zwei Junge warf. Trotzdem strahlte er nicht, ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Das sind ja gute Neuigkeiten«, sagte er nur, noch teilnahmsloser als beabsichtigt. Lamin wußte nicht, wie er sich nun verhalten sollte, und ging einfach davon; er befahl seinen Hunden, die Geißen zusammenzutreiben, die sich schon wieder selbständig machen wollten.
    Binta half ihrem Sohn beim Umzug in die neue Hütte und bemühte sich sehr, keinerlei Gefühle zu zeigen. Er sei aus seinen alten Sachen herausgewachsen, sagte sie und schlug in dem nun gebotenen respektvollen Ton vor, falls ihm seine wichtigen neuen Pflichten Zeit dazu ließen, möge er sich von ihr neue Kleider anmessen lassen. Kunta besaß außer Pfeil und Bogen und Schleuder praktisch nichts, und Binta stellte eine Einrichtung für ihn zusammen: Schlafmatte, mehrere Tongefäße, einen Schemel und einen Gebetsteppich, den sie in seiner Abwesenheit geknüpft hatte. Zu jedem Gegenstand, den sie ihm anbot, brummte er zustimmend, wie er seinen Vater hatte tun hören; er gab damit zu erkennen, daß er nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn diese Stücke in seine Hütte kamen. Als er sich am Kopf kratzte, wollte sie ihn auf Zecken untersuchen, das lehnte er aber barsch ab und achtete auch nicht darauf, als sie darüber murrte.
    Kunta schlief erst gegen Mitternacht ein, denn er hatte viel zu bedenken. Er glaubte, kaum ein Auge zugetan zu haben, als die Hähne ihn weckten und der alimamo zum Gebet rief. Zum erstenmal sollten nun Kunta und seine kafo- Kameraden wie die anderen Männer des Dorfes zum Gebet die Moschee betreten dürfen. Kunta kleidete sich schnell an und gesellte sich samt seinem Gebetsteppich zu den Genossen, die mit gebeugtem Kopf und dem gerollten Teppich unterm Arm die Moschee betraten, als wären sie das ihr Lebtag gewohnt. Sie ahmten die Älteren nach und achteten besonders darauf, die Gebete nicht zu leise, aber auch nicht zu laut zu sprechen.
    Binta brachte anschließend das Frühmahl in die Hütte des jüngsten Mannes der Familie. Sie setzte die Schüssel mit dampfendem kouskous vor ihm ab, der nur mit ausdruckslosem Gesicht brummte, und entfernte sich eilig. Kunta verzehrte mißgestimmt seine Portion, denn er meinte, in der Miene seiner Mutter so etwas wie unterdrückte Heiterkeit bemerkt zu haben.
    Nach dem Essen machte er sich mit den Kameraden daran, seine neuen Pflichten zu übernehmen, das heißt, Augen und Ohren des Dorfes zu sein, und ihr Eifer stieß bei den Älteren ebenfalls auf amüsierte Nachsicht. Die Frauen konnten sich dieser jungen Eiferer kaum erwehren, die unbedingt die Kochtöpfe inspizieren wollten und hartnäckig nach Ungeziefer suchten. Eine minuziöse Inspektion der Palisade um das Dorf ergab, daß diese an zahllosen Stellen nicht mehr der Idealvorstellung entsprach, welche die Jungmänner sich davon machten. Immer wieder prüften sie das Brunnenwasser auf Salzspuren, Unreinheiten oder sonstige Unbekömmlichkeiten. Sie fanden nichts, wechselten aber trotzdem die Schildkröte und den Fisch aus, welche den Brunnen sauberhielten.
    Kurzum, die neuen Männer waren überall. »Ihr seid ja zudringlich wie die Bremsen«, knurrte die alte Nyo Boto, als Kunta sich dem Bach näherte, wo sie Wäsche wusch, und er machte, daß er wegkam. Auch ging er umsichtig seiner Mutter aus dem Wege, denn er redete sich ein, er dürfe ihr keine besonderen Gunstbeweise geben, im Gegenteil, er nahm sich vor, besonders streng mit ihr zu verfahren, sollte sich das als notwendig erweisen. Schließlich war sie eine Frau.

Kapitel 27
    Juffure war so klein, und die frischgebackenen Männer waren so zahlreich, daß es Kunta bald vorkam, als wären sämtliche Wände, Dächer,

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