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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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den schmalen Gang trugen. Sie schoben jeweils zwischen zwei Angekettete einen Blechnapf. Bis jetzt hatte Kunta die Nahrung verweigert, doch allmählich wurde der Hunger so schlimm wie der Schmerz von den Hieben und Schlägen. Hatten alle in Kuntas Raum zu essen bekommen, zeigten die Lichter an, daß die toubobs mit dem Kübel tiefer hinunterstiegen.
    Nicht so oft wie mit dem Kübel und gewöhnlich bei Nacht kamen die toubobs mit neuen Gefangenen, die entsetzt aufschrien und wimmerten, wenn sie auf freie Plätze gestoßen und gepeitscht wurden.
    Eines Tages, kurz nach der Essenszeit, nahm Kunta ein merkwürdiges, dumpfes Geräusch wahr, von dem die Decke über ihm vibrierte. Auch andere hörten es, und ihr Stöhnen verstummte jäh. Kunta lauschte angestrengt; es klang, als liefen oben viele Füße hin und her. Dann hörte es sich an, als würde ein sehr schwerer Gegenstand ganz langsam und knarrend aufgerichtet.
    Die harte Pritsche unter ihm geriet in Bewegung. In seiner Brust verkrampfte sich etwas, und er lag da wie erstarrt. Um ihn her richteten Männer sich auf und zerrten an ihren Ketten. Eisiger Schrecken überfiel ihn, als er spürte, wie dieser Ort, an dem er sich befand, sich bewegte, ihn forttrug. Männer riefen Allah und alle guten Geister an, schlugen mit den Köpfen gegen die Planken, rasselten mit den Handschellen. »Allah, nie wieder will ich weniger als fünfmal am Tag zu dir beten!« schrie Kunta in den Lärm hinein. »Hör mich! Hilf mir!«
    Das angstvolle Schreien, Jammern und Beten wurde erst leiser, als einer nach dem anderen erschöpft und in der stinkenden Finsternis nach Luft ringend auf seine Pritsche zurückfiel. Und da wußte Kunta, daß er Afrika nie wiedersehen würde. Er spürte jetzt ganz deutlich durch die Planken hindurch eine langsam schaukelnde Bewegung, von der seine Schultern, Arme oder Hüften gegen die Männer gepreßt wurden, an die er gekettet war. Die Stimme versagte ihm, und so schrie es denn in ihm: »Töte die toubobs und ihre feigen schwarzen Helfer!«
    Er schluchzte noch still vor sich hin, als die Luke aufging und vier toubobs mit ihrem Kübel heruntergepoltert kamen. Wieder wollte er die Nahrung verweigern, doch fiel ihm jetzt ein, daß der kintango einmal gesagt hatte, Krieger und Jäger müßten gut essen, damit sie kräftiger sind als andere Männer. Hungerte er, würde Schwäche ihn daran hindern, toubobs zu töten. Und so langte er, als diesmal der Napf zwischen ihn und den Gefangenen neben ihm geschoben wurde, mit den Fingern in den dicken Brei. Es schmeckte wie gemahlener Mais, gekocht in Palmöl. Jeder Schluck tat weh, weil er zuvor am Hals gewürgt worden war, als er nicht hatte essen wollen, doch hielt er nicht ein, bis der Napf leer war. Er spürte die Nahrung gleich einem Klumpen im. Magen, und bald kam sie ihm wieder hoch. Er konnte nichts dagegen tun – einen Augenblick später lag der Brei wieder auf der Pritsche. Es war nicht zu überhören, daß es anderen ebenso erging.
    Als die Lichter sich dem Ende der langen Pritschenreihe näherten, auf der Kunta lag, hörte er Kettenrasseln; jemand stieß mit dem Kopf gegen die Decke und kreischte in einer seltsamen Mischung von Mandinka und Wörtern, die wie toubob- Wörter klangen. Die toubobs mit dem Essenkübel lachten schallend, und dann knallten die Peitschen, bis der Mann nur noch winselte. Konnte das sein? Hatte da ein Afrikaner toubob gesprochen? War etwa ein slati unter ihnen? Kunta hatte gehört, daß toubobs sich gelegentlich ihrer schwarzen Helfershelfer entledigten und sie in Ketten legten.
    Als die toubobs in den unteren Laderaum stiegen, war kaum ein Laut zu hören, und erst als sie mit dem leeren Kübel hinaufgeklettert waren und die Luke hinter sich geschlossen hatten, begann ein zorniges Summen wie von einem Bienenschwarm. Vom Ende der Pritschenreihe her ertönte ein heftiger Schlag, Ketten rasselten, und die gleiche Mandinkastimme wie zuvor heulte und fluchte: »Ihr glaubt, ich bin ein toubob ?« Wieder rasche Schläge und verzweifeltes Schreien, ein schreckliches, würgendes Geräusch, als würde jemand die Luft abgedrückt, nochmals Kettenrasseln, Getrommel nackter Fersen auf Brettern – dann Stille.
    In Kuntas Kopf pochte es, und sein Herz klopfte. Um ihn her schrie und heulte es: » Slatis! Slatis! Slatis müssen sterben!« Kunta fiel in das Geschrei ein und rasselte ebenfalls mit den Ketten. Plötzlich ging knarrend die Luke auf, und mehrere toubobs mit Lichtern und Peitschen wurden

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