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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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ausweichen könnte, doch prügelte man ihn vor andere toubobs , die die Fußschellen jedes einzelnen an eine lange Kette schlossen. Hier oben waren viel mehr Gefangene, als er unten im Dunkeln vermutet hatte – und es standen viel mehr toubobs herum, als je zu ihnen hinuntergekommen waren. Im hellen Sonnenlicht wirkten die toubobs noch bleicher und gräßlicher, ihre Gesichter waren von Krankheiten gezeichnet, das seltsame lange Haar hing ihnen gelb, schwarz und rot um den Kopf, und einige hatten sogar Haare um den Mund und unter dem Kinn. Manche waren hager, andere dick, einige hatten häßliche Narben von Messerhieben, oder ihnen fehlte ein Auge, eine Hand oder ein ganzer Arm, etliche hatten sogar Striemen kreuz und quer auf dem Rücken. Kunta fiel ein, wie man sein Gebiß untersucht hatte – von den toubobs , die er hier sah, hatte mancher kaum noch Zähne im Mund.
    Viele toubobs standen an einer Art Zaun am Rand des großen Kahns, mit Peitschen, langen Messern und schweren, aber hohlen Eisenstücken, doch jenseits des Zauns bot sich Kunta ein noch verblüffenderer Anblick – eine endlose Fläche wogenden blauen Wassers. Er wandte den Kopf zu den Flattergeräuschen empor und sah, daß sie von weißen Tüchern verursacht wurden, die sich zwischen hohen Pfählen und vielen Seilen blähten. Die Tücher schienen mit Wind gefüllt zu sein. Hinter sich erblickte Kunta eine Bambusbarrikade, höher als ein Mensch, über die ganze Breite des großen Kahns hinweg. In der Mitte der Barrikade drohte der aufgerissene Schlund einer riesigen, schrecklich aussehenden eisernen Röhre, daneben weitere hohle Eisenstöcke, wie sie die toubobs am Zaun in den Händen hielten. Das große Ding und die Stöcke waren dorthin gerichtet, wo er und die anderen nackten Männer standen.
    Während die Fußschellen an der neuen Kette befestigt wurden, hatte Kunta Gelegenheit, seinen Wolof-Ket­tengenossen richtig anzusehen. Gleich ihm war er von Kopf bis Fuß mit Schmutz überkrustet. Er schien so viele Regen alt zu sein wie Kuntas Vater Omoro und hatte die typischen Gesichtszüge seines Stammes. Er war sehr schwarz. Der Rücken des Wolof blutete von den Peitschenhieben, und das Brandmal eiterte. Kunta merkte, daß der Wolof ihn seinerseits ebenso entgeistert anstarrte. Im Zuge des Durcheinanders konnte Kunta einen Blick auf die anderen Männer werfen. An Gesichtsmerkmalen, Stammestätowierungen und Narbenzeichen erkannte er Foulah, Jola und Serere, auch Wolof, wie sein Gefährte, doch die meisten waren Mandinkas. Einige konnte er nicht einordnen. Voll innerer Erregung erblickte er nun den Mann, der den slati umgebracht haben mußte. Es war tatsächlich ein Foulah, und er war ganz mit Blut von Peitschenhieben überkrustet.
    Man prügelte sie dorthin, wo eine Kette von zehn Männern bereits mit Meerwasser übergossen wurde, das man mit Eimern heraufzog. Toubobs mit Bürsten an langen Stielen schrubbten die vor Schmerz heulenden Männer ab. Kunta schrie auf, als das Salzwasser ätzend seine Peitschenwunden und das Brandmal auf seinem Rücken traf. Er schrie noch lauter, als die harten Borsten nicht nur die Dreckkruste von seinem Körper schälten, sondern auch den Schorf von seinen Wunden. Das Wasser zu seinen Füßen schäumte rot. Anschließend mußten sich alle Gefangenen etwa in der Mitte des Decks hinkauern. Kunta sah über sich die toubobs auf den Pfählen klettern wie Affen; sie zogen an den Seilen zwischen den großen weißen Tüchern. Selbst in seiner Benommenheit empfand Kunta die Sonne als warm und wohltuend und war unglaublich erleichtert darüber, daß seine Haut von einem Teil des Schmutzes befreit war.
    Jähes, vielstimmiges Geschrei ließ die Männer auffahren. Vier Kinder und ungefähr zwanzig Frauen, die meisten noch ganz jung, kamen nackt und ohne Ketten hinter der Barrikade hervor, getrieben von zwei grinsenden toubobs mit Peitschen. Kunta erkannte sofort die Frauen, mit denen er auf den großen Kahn gebracht worden war. Mit aufwallender Wut beobachtete er, daß alle toubobs lüstern auf die nackten Frauen starrten und einige sogar ihre fotos rieben. Unter Aufbietung aller Willenskraft verbot er sich, all ihren Waffen zum Trotz über die ihm zunächst stehenden toubobs herzufallen. Er ballte die Hände, atmete schwer und wandte den Blick von den verängstigten Frauen.
    Nun machte ein toubob sich daran, ein Ding, das aussah wie ein Balg, auseinanderzuziehen und zusammenzudrücken, wobei pfeifende Töne entstanden. Ein anderer

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