Wurzeln
nach einer Weile fest, daß ihm dies überraschend gut gelang. Das war ein ganz eigenartiges Gefühl, fast so, als ob ihm die Ohren jetzt als Augen dienten. Ab und zu vernahm er außer dem Stöhnen und Fluchen, das die Dunkelheit erfüllte, einen dumpfen Laut, der anzeigte, daß jemand mit dem Kopf gegen seine Pritsche schlug. Ferner wurde in Abständen ein sonderbar monotones Geräusch vernehmlich; es hörte sich an, als würde Metall gegeneinander gerieben. Als Kunta länger horchte, kam er zu dem Schluß, daß jemand versuchte, seine Ketten durchzuscheuern. Oft hörte Kunta auch kurze Wortwechsel und Kettenklirren, wenn zwei Männer sich stritten und gegenseitig an Händen und Füßen rissen.
Kunta hatte alles Zeitgefühl verloren. Urin, Erbrochenes und Fäkalien verpesteten die Luft und überzogen die harten Planken der Pritschenreihen mit einer klebrigen Masse. Als er glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, kamen acht toubobs laut fluchend durch die Luke, nicht mit dem üblichen Essenkübel, sondern mit Geräten, die wie langstielige Hacken aussahen, dazu vier große Eimer. Kunta sah verblüfft, daß sie splitternackt waren.
Die nackten toubobs wurden sofort vom Brechreiz übermannt und kotzten unter entsetzlichem Würgen. Im Schein ihrer Lampen kratzten sie mit ihren Hacken den Dreck von den Pritschen in die Eimer. War ein Eimer voll, schleiften sie ihn den Gang entlang und zur Luke hinauf, leerten ihn droben aus und kamen zurück. Dabei würgten sie ganz jämmerlich, ihre Gesichter waren verzerrt, an ihren farblosen haarigen Körpern haftete der Unrat, den sie von den Pritschen kratzten. Als sie aufhörten und hinausgingen, stank es in dem gräßlichen Laderaum allerdings noch genauso wie zuvor.
Später kamen nicht wie üblich vier toubobs mit dem Essenkübel, sondern etwa zwanzig, wie Kunta schätzte. Er lag wie erstarrt und wagte kaum, den Kopf zu wenden. Die toubobs verteilten sich im Laderaum. Einige trugen Peitschen und Messer, andere hielten Lampen in den Händen. Angst befiel Kunta, als er zuerst klickende Geräusche, dann lautes Rasseln vernahm. An seinem gefesselten rechten Fußgelenk ruckte es. Schreck durchfuhr ihn, als er begriff, daß die toubobs ihn losmachten. Warum? Was würde jetzt Furchtbares geschehen? Er lag reglos, der rechte Fuß spürte das vertraute Gewicht der Kette nicht mehr. Es klickte und rasselte, als die Ketten überall gelöst wurden. Schon brüllten die toubobs und knallten mit den Peitschen, offenbar sollten alle von den Pritschen heruntersteigen. Kunta stimmte in das Geheul in verschiedenen Sprachen ein, mit dem die Männer sich aufrichteten, wobei sie mit den Köpfen gegen die Deckenbalken stießen.
Peitschenhiebe knallten, als die vor Schmerzen schreienden Männer paarweise in den Gang stolperten. Kunta und sein Kettengenosse vom Stamme der Wolof klammerten sich an die Pritsche. Brennende Hiebe trafen sie, Hände packten sie an den Füßen und zerrten sie in das Durcheinander auf dem Gang. Alle heulten unter den Schlägen auf. Kunta suchte vergeblich, den Prügeln auszuweichen. Toubobs stießen die aneinander gefesselten Paare zur Treppe. Kunta spürte seine Beine nicht mehr, als er neben dem Wolof dahinstolperte und die Stufen hochtaumelte, an den Handgelenken gefesselt, von Schmutz überkrustet, fest überzeugt, gleich gefressen zu werden.
Das erste helle Tageslicht nach fast fünfzehn Tagen traf Kunta wie ein Hammerschlag. Er torkelte unter dem schneidenden Schmerz und schützte mit der freien Hand die Augen. Seine nackten Füße sagten ihm, daß der Boden unter ihm sich leicht von einer Seite zur anderen neigte. Er tastete sich blind vorwärts. Nicht einmal die vorgehaltene Hand und die zusammengekniffenen Lider schützten ihn ganz vor dem schmerzenden Licht. Weil er durch die verstopfte Nase kaum atmen konnte, riß er die aufgeplatzten Lippen auseinander und sog einen tiefen Zug Meeresluft ein – den ersten seines Lebens. Seinen Lungen bekam die reine Luft schlecht, er stürzte und erbrach. Den anderen erging es nicht besser. Ketten rasselten, Peitschen knallten, die toubobs tobten, und über seinem Kopf hörte Kunta ein unheimliches Flattern.
Als ein weiterer Peitschenhieb über seinen Rücken pfiff, wich Kunta zur Seite und hörte seinen Wolof-Genossen aufheulen, den der Hieb mit der ganzen Wucht traf. Die Peitsche fuhr auf sie nieder, bis sie taumelnd auf die Füße kamen. Kunta öffnete die Augen einen Spalt breit, um zu sehen, ob er den Schlägen
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