Wurzeln
Ohr ein Flüstern. »Jula?« Kuntas Herz machte einen Satz. Er kannte kaum ein paar Worte Wolof, aber er wußte, daß die Wolof und einige andere Stämme mit dem Wort jula Reisende und Händler meinten, die gewöhnlich Mandinkas waren. Er rückte dem Wolof ein wenig näher und flüsterte zurück: » Jula. Mandinka.« Einige Augenblicke lang, während Kunta gespannt wartete, schwieg der Wolof. Wenn ich nur so viele Sprachen sprechen könnte wie die Brüder meines Vaters, ging es Kunta durch den Kopf, doch da schämte er sich auch schon dafür, sie, wenn auch nur in Gedanken, an diesen Ort gebracht zu haben. »Wolof, Jebou Manga«, flüsterte der andere schließlich, und Kunta wußte, das war sein Name.
»Kunta Kinte«, flüsterte er zurück.
So lernten sie denn mühsam einer so manches Wort in der Sprache des anderen. Kunta kam sich vor wie als Kind. Es war so wie im ersten kafo. Er dachte daran, wie das ferne Feuer eines Fulani-Hirten, der nachts die Erdnußfelder gegen Überfälle der Paviane schützte, ihn zuversichtlich gestimmt und wie er gewünscht hatte, mit diesem nie gesehenen Mann Worte tauschen zu können. Es war, als ginge dieser Wunsch nun in Erfüllung, nur daß es ein Wolof war, den er während der gemeinsamen Wochen in Ketten jetzt zum erstenmal gesehen hatte.
Kunta besann sich auf jeden Wolof-Ausdruck, den er je vernommen hatte. Er wußte, daß der Wolof das gleiche mit Mandika-Worten tat, von denen er mehr kannte als Kunta Worte aus der Sprache der Wolof. Übrigens hatte Kunta das deutliche Gefühl, der Mann auf seiner anderen Seite, der nie andere als Schmerzenslaute von sich gab, hörte ihnen aufmerksam zu. Das leise Murmeln im dunklen Laderaum sagte Kunta, daß er und seine Kettengenossen nicht die einzigen waren, die sich miteinander zu verständigen suchten, nachdem sie sich erstmals bei Tageslicht hatten sehen können. Das Flüstern wurde allgemein und hörte schließlich nur auf, wenn die toubobs kamen, mit Essen oder mit Bürsten, um den Schmutz von den Pritschen zu schaben. Der Stille, die dann eintrat, haftete etwas Neues an: zum erstenmal, seit man sie gefangen und in Ketten gelegt hatte, war es, als hätten die Männer etwas Gemeinsames.
Kapitel 37
Als die Gefangenen das nächste Mal an Deck geführt wurden, sah sich Kunta den Mann genauer an, der, wenn sie unten waren, links von ihm lag. Es war ein Serere, viel älter als Kunta und auf Brust und Rücken von Striemen gezeichnet, deren einige so eiterten, daß sich Kunta schämte, bisweilen den Wunsch gehabt zu haben, seinen Nachbarn zu schlagen, wenn der unter Schmerzen stöhnte. Jetzt blickte er wütend und trotzig drein. Eine Peitsche knallte, noch während sie sich ansahen. Diesmal galt der Hieb Kunta, der weitergehen sollte, und trieb ihn zu einem Wutausbruch. Brüllend wollte er sich auf den toubob stürzen, fiel jedoch hin und riß seinen Kettengenossen mit sich. Andere stolperten über die beiden, und der toubob ließ haßerfüllt die Peitsche wieder und wieder auf Kunta und den Wolof niedersausen wie ein Haumesser. Als Kunta sich zur Seite wälzen wollte, bekam er Tritte in die Rippen. Irgendwie gelang es schließlich ihm und dem keuchenden Wolof, sich zwischen die anderen zu schieben, die der Abspülung mit Meerwasser entgegenschlurften.
Gleich darauf brannte das Salz in Kuntas Wunden, und er stimmte in das allgemeine Schmerzgeheul ein, das die Trommel und den quietschenden Balg übertönte, welche die Angeketteten zum Tanzen vor den toubobs ermuntern sollten. Kunta und der Wolof waren von den Prügeln so ermattet, daß sie stolperten, doch weitere Schläge und Tritte brachten zuwege, daß sie schwerfällig an der Kette tanzten. Kunta war so außer sich, daß er kaum hörte, wie die Frauen »Toubob fa!« anstimmten. Als er schließlich wieder unten an seinem Platz angekettet war, hatte er einzig das Verlangen, die toubobs zu töten.
Alle paar Tage kamen acht nackte toubobs in den stinkenden Laderaum und kratzten Kot von den Pritschen. Kunta lag ganz still, sein Blick folgte haßerfüllt den orangegelben Lichtern, er hörte aufmerksam den toubobs zu, die fluchten und manchmal auf dem glitschigen Boden ausrutschten und hinfielen, denn der Dreck nahm allmählich überhand. Die Fäkalien troffen von den Pritschen in den Gang.
Beim letzten Aufenthalt an Deck hatte Kunta einen Mann bemerkt, dem der weißhaarige toubob Salbe auf eine üble Wunde am Bein schmierte, doch hatte es nichts genützt, und der Mann fing unten gräßlich
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