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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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gehorcht! Er wollte verzweifeln bei dem Gedanken, daß er nie mehr den Rat seines Vaters hören würde. Er mußte fortan für sich selber denken.
    »Alles ist Allahs Wille!« Diese Mahnung des alcala wanderte von Mund zu Ohr, und als Kunta sie von dem Mann zu seiner Linken zugeflüstert bekam, drehte er sich auf die andere Seite und gab sie dem Wolof weiter. Der Wolof jedoch gab sie seinerseits nicht weiter, wie Kunta bemerkte. Sollte er sie nicht richtig verstanden haben? Er flüsterte die Botschaft ein zweites Mal, aber da zischte der Wolof so laut, daß man es im ganzen Raum hörte: »Wenn dies hier der Wille eures Allah ist, dann ist mir der Teufel lieber!« Aus einigen Ecken im Dunkel hörte man zustimmende Ausrufe, und hier und da Gezänk.
    Kunta war zutiefst erschüttert. Daß er neben einem Heiden lag, entsetzte ihn, denn der Glaube an Allah war ihm so kostbar wie das Leben selbst. Zwar schätzte er die Freundschaft und die klugen Ansichten seines älteren Kettengenossen, doch eine Gemeinschaft konnte es mit ihm fortan nicht mehr geben.

Kapitel 38
    An Deck gaben die Frauen singend zu verstehen, daß es ihnen gelungen war, Messer und andere Dinge an sich zu bringen, die als Waffen dienen konnten. Die Männer im Laderaum spalteten sich in zwei Lager. Anführer der Gruppe, die den unverzüglichen Angriff propagierte, war ein grimmig dreinblickender tätowierter Wolof. An Deck vollführte er in seinen Ketten wilde Tänze und wies den toubobs die spitz angefeilten Zähne. Die spendeten ihm Beifall, weil sie glaubten, er grinse. Die Befürworter einer sorgfältigen Vorbereitung wurden von dem Foulah angeführt, der dafür geschlagen worden war, daß er den slati erwürgt hatte.
    Von den Gefolgsleuten des Wolof sagten einige, man solle die toubobs überfallen, die nach unten in den Laderaum kamen, denn die Gefangenen könnten hier besser sehen und das Überraschungsmoment sei am größten, doch ihnen hielt man entgegen, daß der größere Teil der toubobs oben und somit in der Lage wäre, die Angeketteten hier unten wie Ratten zu erschlagen. Wurde der Streit zwischen dem Wolof und dem Foulah zu heftig, befahl der alcala , leiser zu sprechen, damit die toubobs sie nicht hörten.
    Wie der Streit auch ausgehen mochte, Kunta war bereit, auf Leben und Tod zu kämpfen. Das Sterben hatte für ihn seinen Schrecken verloren. Er wußte jetzt, er würde Familie und Heimat nicht wiedersehen, und er fühlte sich schon so gut wie tot. Nur wollte er nicht sterben, ohne wenigstens einen toubob mit eigenen Händen getötet zu haben. Im übrigen neigte er, und mit ihm die Mehrheit, wie er meinte, dem Standpunkt des vorsichtigen, peitschennarbigen Foulah zu. Kunta hatte inzwischen herausgefunden, daß die meisten Männer hier unten Mandinkas waren, und jeder Mandinka wußte, daß die Foulah sich Jahre, manchmal Jahrzehnte Zeit nahmen, ein ihnen angetanes Unrecht zu rächen. Tötete jemand einen Foulah und entkam, ruhten die Söhne des Erschlagenen nicht eher, bis sie den Mörder aufgespürt und zu Tode gebracht hatten.
    »Wir müssen bedingungslos dem Mann gehorchen, für den wir uns entscheiden«, mahnte der alcala. Die Anhänger des Wolof murrten, doch zeigte sich, daß die Mehrheit für den Foulah war, und so gab dieser denn auch gleich seinen ersten Befehl. »Wir müssen alles, was die toubobs tun, mit Falkenaugen beobachten. Und wenn die Zeit kommt, müssen wir Krieger sein.« Man solle den Rat der Frauen befolgen und sich beim Tanz an Deck lustig gebärden. Dann werde die Wachsamkeit der toubobs nachlassen, und man könne sie um so leichter überraschen. Ferner solle ein jeder sich nach einem Gegenstand umsehen, den er rasch packen und als Waffe gebrauchen könne. Kunta hörte das mit Genugtuung, denn er hatte schon eine nur lose unterhalb eines Zaunstücks befestigte Eisenstange erspäht, die er packen und wie einen Speer dem nächstbesten toubob in den Leib rennen wollte.
    Wenn die toubobs die Luke aufrissen und brüllend und ihre Peitschen schwingend herunterkamen, lag Kunta still wie ein Tier des Waldes. Er befolgte, was der kintango im jujuo gesagt hatte: Der Jäger soll lernen, was Allah die Tiere gelehrt hat – sich verstecken und die Jäger beobachten, die ihnen nachspüren. Kunta war mit der Zeit zu der Meinung gelangt, daß es den toubobs Freude machte, Menschen zu quälen. Haßerfüllt erinnerte er sich an ihr Lachen, wenn sie Menschen mißhandelten, besonders solche, deren Körper schon von Striemen überzogen

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