Wurzeln
Tücher an den hohen Pfählen flappten, und bald bauschten sie sich sogar. Die toubobs turnten da oben wieder herum wie Affen, und kurz darauf zog der Kahn mit sprühendem Schaum vor dem Bug durchs Wasser.
Am nächsten Morgen kamen mehr toubobs als gewöhnlich in den Laderaum, und viel früher als sonst. Aufgeregt redend und gestikulierend, ketteten sie die Gefangenen los und halfen ihnen nach oben. Durch die Luke stolpernd, blinzelte Kunta in das frühe Morgenlicht und sah toubobs , Frauen und Kinder am Zaun des Kahns stehen. Die toubobs lachten alle und zeigten mit ausgestreckten Armen nach vorn. Kunta kniff die Augen zusammen und sah …
Ja, das war, obschon noch verschwommen und fern, zweifellos ein Stück von Allahs Ende. Diese toubobs kannten also wirklich einen Fleck Erde, auf den sie ihre Füße stellen durften – das Land toubabo doo , von dem die Alten sagten, es erstrecke sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Kunta bebte am ganzen Leib. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Die Reise war vorüber. Er hatte sie überlebt. Die Küstenlinie verschwand aber bald hinter dem grauen Schleier seiner Tränen, denn Kunta wußte, was ihn dort erwartete, konnte nur noch schlimmer sein.
Kapitel 40
Wieder im dunklen Bauch des Laderaums, wagten die Angeketteten zunächst nicht, den Mund aufzutun. Man vernahm jetzt deutlich das Knarren der Planken, das Rauschen des Wassers und das Stampfen von toubob- Füßen, die an Deck hin und her rannten.
Plötzlich hörte man einen Mandinka laut Allah preisen, und bald fielen alle ein. Es wurde ein toller Lärm von Lobpreisungen, Gebeten und Kettenrasseln. Kunta hörte nicht, daß die Luke quietschend geöffnet wurde, doch das einfallende Licht ließ ihn verstummen. Aus verschleimten Augen blinzelnd nahm er undeutlich wahr, daß die toubobs mit ihren Lichtern kamen. Alle wurden – diesmal mit ungewöhnlicher Hast – nach oben getrieben. Trotz des Wehgeschreis der Kranken traten die langstieligen Bürsten in Aktion und schrubbten krustigen Unrat von den schwärenden Leibern. Der Weißhaarige teilte freigebig gelbes Pulver aus, und tiefe Fleischwunden ließ er von seinem narbengesichtigen Gehilfen mit einer schwarzen Schmiere verkleistern. Als Kuntas wundes Gesäß damit behandelt wurde, warf ihn der jähe Schmerz halb betäubt auf die Planken. Damit nicht genug, wurde er durch das Angstgeheul der Gefährten auf einen Anblick aufmerksam, der den Eindruck erweckte, als träfen die toubobs nunmehr Vorbereitungen, die Gefangenen zu fressen. Jeweils zwei von ihnen zwangen einen Gefangenen in die Knie und hielten ihn fest, während ein dritter mit einem, schmalen, blitzenden Ding die Haare von der Kopfhaut schabte, daß das Blut nur so rann.
Kunta schrie und wehrte sich mit aller Kraft, doch ein heftiger Tritt in die Rippen nahm ihm den Atem, und er ließ benommen das Einschäumen und Abschaben über sich ergehen. Sodann wurden die angeketteten Schwarzen eingeölt, daß ihre Körper glänzten, und mußten eine Art von Lendenschutz anlegen, der Löcher für die Beine hatte und die Geschlechtsteile bedeckte. Schließlich wurden sie, unter den wachsamen Augen des Weißhaarigen, liegend an den Zaun des Kahns gekettet. Um diese Zeit stand die Sonne auf dem höchsten Punkt.
Kunta lag wie betäubt. Tröstlich war nur, daß seine Seele längst zu Allah eingegangen sein würde, wenn sein Fleisch verzehrt und das Mark aus seinen Knochen gesaugt wurde. Er betete. Laute Befehle des weißhaarigen toubob und seines Gehilfen jagten die untergebenen toubobs die Pfahle hinauf. Diesmal fluchten und ächzten sie dabei aber nicht, sondern sie lachten. Schon fielen die großen weißen Tücher in sich zusammen, nur einige kleine blieben stehen.
Kuntas Nase nahm eine unbekannte Witterung auf, ein Gemisch von fremdartigen Gerüchen. Auch glaubte er, über das Wasser hinweg unvertraute Geräusche zu hören. Sehen konnte er noch nichts, doch kamen die Geräusche näher, und er stimmte in das angstvolle Wimmern seiner Gefährten ein. Je näher die Geräusche kamen, desto lauter wurde gejammert und gebetet. Plötzlich konnte Kunta die Körper vieler fremder toubobs riechen, und im gleichen Moment stieß der Kahn hart gegen etwas Festes, neigte sich zur Seite und lag still. Seit der Abfahrt aus Afrika waren viereinhalb Monde vergangen.
Die Angeketteten fuhren erschreckt hoch. Kunta schlang die Arme um die Knie und hielt die Augen so fest geschlossen, als wollte er sie nie mehr aufmachen. Es widerstand
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