Wurzeln
ihm, die neuen Gerüche einzuatmen. Als er etwas poltern hörte, öffnete er die Augen einen Spalt breit und sah zwei unbekannte toubobs über eine breite Planke heraufkommen. Sie hielten sich weiße Tücher vor die Nasen, hatten es offenbar sehr eilig und schüttelten dem Weißhaarigen die Hand, der zuvorkommend lächelte. Kunta bat stumm Allah um Vergebung und Barmherzigkeit, als die toubobs die schwarzen Männer losketteten und ihnen bedeuteten aufzustehen. Kunta und seine Gefährten klammerten sich an ihre Ketten – sie wollten nicht hergeben, was inzwischen fast ein Teil ihres Körpers geworden war –, und schon knallten die Peitschen, zuerst über den Köpfen, dann auf die Rücken. Also ließen sie jammernd die Ketten los und taumelten auf die Füße.
Auf der Ufermauer, an welcher der Kahn festgemacht hatte, wimmelte es von toubobs , die aufgeregt gestikulierten, und Kunta sah, daß noch mehr von überall herbeigerannt kamen. Unter Peitschenhieben stolperten sie im Gänsemarsch die breite Planke hinunter gegen die wartende Menge. Kunta versagten fast die Knie, als seine Füße toubob -Boden berührten, doch knallende Peitschen trieben ihn weiter, so dicht an der johlenden Menge vorbei, daß deren Geruch ihn traf wie der Schlag einer mächtigen Faust. Ein Schwarzer fiel hin, und seine Ketten rissen die Männer vor und hinter ihm zu Boden. Peitschenhiebe trieben alle wieder hoch, und die zuschauenden toubobs brüllten beifällig.
Kunta hätte fliehen mögen, doch Peitschen und Ketten sorgten dafür, daß er in der Reihe blieb. Er sah toubobs in merkwürdigen Kästen auf zwei oder vier Rädern, davor Tiere, die Eseln ähnelten. Vor Auslagen von Obst und Gemüse drängten sich unzählige toubobs; das war offenbar ein Markt. Feingekleidete toubobs blickten verächtlich auf die Schwarzen, weniger fein gekleidete zeigten mit dem Finger und kreischten vor Vergnügen. Unter diesen fiel Kunta eine Frau mit strähnig-strohgelbem Haar auf. Weil die toubobs auf dem Kahn den schwarzen Frauen nachstellten, hatte Kunta bezweifelt, daß sie eigene Frauen hatten; das war offenbar ein Irrtum gewesen. Daß sie afrikanische Frauen bevorzugten, leuchtete ihm aber beim Anblick der Strohfarbigen sogleich ein.
Als nächstes erblickte Kunta mehrere toubobs , die wie die Verrückten zwei kämpfende Hähne anfeuerten, und dann mußte er mit ansehen, wie erwachsene toubobs kreischend einem fettglänzenden, unreinen Schwein auswichen, das von drei toubob -Knaben gejagt wurde. Kunta wollte seinen Augen nicht trauen.
Es traf ihn wie ein Blitz, als er plötzlich zwei Schwarze erblickte, die nicht auf dem Kahn gewesen waren – einen Mandinka und einen Serere, ganz zweifellos. Er sah entgeistert, daß sie ganz gelassen einem toubob folgten. Also waren er und seine Gefährten doch nicht allein in diesem schrecklichen Land. Und wenn man diese Männer hatte leben lassen, dann blieb es vielleicht auch ihnen erspart, gefressen zu werden. Kunta wollte hinlaufen und sie umarmen, doch sah er ihre ausdruckslosen Gesichter und die ängstlich niedergeschlagenen Augen. Dann fing seine Nase ihren Geruch ein; mit dem stimmte etwas nicht. Seine Gedanken überstürzten sich; er begriff nicht, wie schwarze Männer willig einem toubob folgen konnten, der sie nicht beobachtete, nicht einmal eine Waffe trug, anstatt davonzulaufen oder ihn zu töten.
Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn nun waren sie vor einem rechteckigen Haus aus gebackenen Lehmziegeln angelangt. Die wenigen Öffnungen in den Wänden waren mit Eisenstangen vergittert. Toubobs , die die Türen bewachten, trieben sie in einen großen Raum. Kunta spürte kühle, gestampfte Erde unter den Füßen. In dem trüben Licht, das durch zwei vergitterte Öffnungen einfiel, erkannten seine blinzelnden Augen die Umrisse von fünf schwarzen an der einen Wand kauernden Männern. Sie hoben nicht einmal die Köpfe, als Kunta und seine Gefährten mit Hand- und Fußgelenken in dicke eiserne Schellen geschlossen wurden, die an kurzen, in der Wand befestigten Ketten hingen.
Die Neuankömmlinge hockten sich hin. Kunta schwirrte der Kopf von alledem, was er seit Verlassen des Kahns gesehen, gehört und gerochen hatte. Nach einer Weile kam ein Schwarzer herein, schob jedem, ohne irgendwen anzusehen, Näpfe mit Wasser und Essen hin und ging rasch wieder hinaus. Kunta hatte keinen Hunger, aber seine Kehle war so trocken, daß er von dem Wasser trank; es schmeckte sonderbar. Benommen blickte er
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