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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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durch eine vergitterte Öffnung. Das Tageslicht verblaßte zur Dämmerung.
    Je länger er so dahockte, desto mehr setzte die Angst ihm zu. Er wäre lieber in dem vertrauten dunklen Laderaum gewesen, dort hätte er wenigstens gewußt, was ihn als nächstes erwartete. Kam im Laufe der Nacht ein toubob herein, schrak Kunta jedesmal zusammen; der Geruch war fremdartig und überwältigend. An die anderen Gerüche war er gewöhnt – Schweiß, Urin, Schmutz, der Gestank, wenn einer der Angeketteten seinen Darm entleeren mußte. Auch das Beten, Fluchen, Stöhnen und das Rasseln der Ketten war ihm vertraut.
    Einmal brachten zwei toubobs einen Schwarzen herein. Sie trugen ein Licht, wie Kunta es schon von dem Kahn her kannte, und prügelten den Neuankömmling mit der Peitsche. Dieser schrie laut einige Wörter in der toubob -Sprache. Er wurde angekettet, und die beiden toubobs gingen wieder. Kunta und seine Gefährten wurden von seinem kläglichen Gejammer wach gehalten.
    Kurz vor Tagesanbruch hörte Kunta plötzlich mit seinem inneren Ohr so deutlich wie im jujuo die scharfe Stimme des kintango: »Der kluge Jäger beobachtet die Tiere und lernt von ihnen.« Kunta durchzuckte es, er setzte sich auf. War das endlich eine Botschaft von Allah? Von den Tieren lernen, was konnte das bedeuten – hier, jetzt? Er war selbst wie ein Tier in der Falle. Er dachte an Tiere, die er in der Falle gesehen hatte. Manchen gelang es, zu entkommen, bevor sie getötet wurden. Welche waren das?
    Schließlich fiel es ihm ein. Entkommen konnten die, die nicht in der Falle tobten, bis ihre Kräfte erschöpft waren, sondern die sich ruhig verhielten und ihre Kräfte sparten. Die überlisteten dann den sorglosen Fallensteller durch einen entschlossenen Angriff oder, klüger noch, durch die Flucht.
    Kunta fühlte sich innerlich wacher. Endlich wieder eine Hoffnung, seit die Pläne zur Überrumplung der toubobs auf dem Kahn fehlgeschlagen waren. Sein Denken richtete sich jetzt ganz auf dieses Ziel: Flucht. Er mußte tun, als gäbe er sich geschlagen, durfte nicht toben, sich nicht wehren; es mußte so aussehen, als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden.
    Wohin aber sollte er fliehen? Wo konnte er sich verbergen in diesem fremden Land? Um Juffure herum kannte er das Land wie seine eigene Hütte, aber von diesem hier wußte er nichts. Er ahnte nicht einmal, ob die toubobs Wälder hatten und ob er in ihnen Fährten finden würde, die dem Jäger von Nutzen sind. Er nahm sich vor, diese Fragen erst anzugehen, wenn es soweit war.
    Das erste Morgenlicht sickerte durch die vergitterten Fenster, als Kunta in einen unruhigen Schlaf fiel. Ihm kam vor, als hätte er noch kaum die Augen geschlossen, da weckte ihn der fremde Schwarze mit Wasser und Essen. Obwohl sich sein Magen vor Hunger zusammenkrampfte, widerstand ihm das Essen. Seine Zunge fühlte sich dick und pelzig an. Er konnte kaum schlucken, so schmerzte ihm die Kehle.
    Benommen schaute er um sich. Die vertrauten Gefährten schienen nichts zu sehen, nichts zu hören. Sie hatten sich in sich selbst zurückgezogen. Die fünf Schwarzen, die bei seiner Ankunft schon dagewesen waren, trugen zerlumpte toubob -Kleidung. Zwei von ihnen hatten die hellbraune sasso-borro -Haut, also einen toubob zum Vater, wie die Ältesten sagten. Der Schwarze, der in der Nacht hereingebracht worden war, saß vornübergebeugt, geronnenes Blut im Haar und Blutflecken an seiner toubob -Kleidung. Einen Arm hielt er so unnatürlich, daß Kunta wußte, der war gebrochen.
    Kunta schlief wieder ein, und wieder erwachte er davon, daß Essen ausgeteilt wurde. Es gab dampfenden Brei, der noch ärger roch als das vorige Essen. Kunta mochte ihn nicht anrühren, doch als er sah, daß die Gefährten nach den Näpfen langten und das Zeug hinunterschlangen, sagte er sich, es müßte doch genießbar sein. Wenn er fliehen wollte, brauchte er Kraft. Er wollte sich zwingen, ein wenig davon zu essen – nur ein wenig. Er griff nach dem Napf und schluckte, bis nichts mehr drin war. Von sich selbst angewidert, stieß er den Napf scheppernd beiseite. Er spürte, daß ihm übel wurde, bezwang sich aber. Wenn er am Leben bleiben wollte, mußte er die Nahrung bei sich behalten.
    Von da an zwang sich Kunta, dreimal täglich, die verhaßte Nahrung anzunehmen. Der Schwarze, der sie brachte, kam einmal am Tag mit Eimer, Hacke und Schaufel, den Dreck fortzuschaffen. Jeden Nachmittag pinselten zwei toubobs mit einer stechenden schwarzen Flüssigkeit die

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