Wut
bisher ungezeigtem Material, ja, ja, aber ich sage nein. Da muß man ganz weit zu den Klassikern zurückgehen, bis zu meinem Roman Polanski. Rosemary’s Baby, Mann. Das ist mein Baby. Also Babies, über die muß man Bescheid wissen, stimmt’s, Professor? Babies sitzen einem zum Beispiel nach einem beschissenen Tag auf dem Schoß. Sie antworten ja gar nicht, Professor. Gestatten Sie, daß ich’s anders formuliere. Sie haben mit was rumgemacht, das nicht für Sie zum Rummachen war, und so, wie ich es sehe, muß der beschissene Übeltäter bestraft werden. Die Rache ist mein, sagt der Herr. Die Rache ist Eddies, ist das nicht so, Professor, würden Sie nicht zugeben, so wie wir einander hier gegenüberstehen, daß das verdammt noch mal auf diesen Fall zutrifft? Wie wir hier einander gegenüberstehen, Sie hilflos mit Ihrer Lady da und ich mit diesem riesigen Mordsinstrument in meiner Hand, während ich’s nicht erwarten kann, Ihnen die Eier abzuschneiden, sehen Sie da verdammt noch mal nicht ein, daß der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen ist?«
Das Kino verkindlicht seine Zuschauer, dachte Solanka, aber vielleicht ließen sich leicht infantile Gemüter auch von gewissen schlichten Filmen anziehen. Vielleicht stumpft das tägliche Leben mit seiner Hast, seiner Überladenheit die Menschen ab und betäubt sie, so daß sie in die simpleren Welten der Filme eintauchen wollen, um sich daran zu erinnern, wie es ist, etwas zu empfinden. Infolgedessen erscheint in den Köpfen vieler Erwachsener das Erlebnis, das in den Kinos geboten wird, inzwischen realer als das, was in der Welt draußen zu haben ist. Für Eddie besaßen die Tiraden seiner Kinogauner mehr Authentizität als irgendeine normale Ausdrucksweise, als selbst die Drohsprache, die ihm zur Verfügung stand. In seiner Vorstellung war er Samuel L. Jackson, der drauf und dran war, einen Fatzke fertigzumachen. Er war ein Mann in Schwarz, ein Mann, der nach einer Farbe genannt wurde und ein gefesseltes Opfer zur Melodie von Stuck in the Middle with You aufschlitzte. Aber das alles hieß nicht, daß ein Messer nicht immer noch ein Messer war. Daß Schmerz immer noch Schmerz war, daß der Tod das Ende war und daß hier ganz zweifellos ein durchgeknallter junger Mann bei ihnen im Dunkeln war, der wütend ein Messer schwenkte. Neela war inzwischen wach geworden; sie saß neben Solanka und zog sich, genau wie die Leute im Kino, eine Decke um die Schultern. »Kennst du den?« fragte sie flüsternd. Eddie lachte. »Oh, aber gewiß doch, schöne Frau«, rief er höhnisch. »Wir haben noch Zeit für ein paar kleine Fragen und Antworten. Der Professor und ich, wir sind Kollegen.«
»Eddie«, sagte eine Mila mit beunruhigend roten Augen und blauen Haaren vorwurfsvoll von der offenen Tür her. »Du hast meine Schlüssel gestohlen. Er hat meine Schlüssel gestohlen«, sagte sie, an Solanka in seinem Bett gewandt. »Tut mir leid. Er hat, na ja, heftige Gefühle. Das gefällt mir bei einem Mann. Vor allem, was dich betrifft, hat er heftige Gefühle. Verständlicherweise. Aber das Messer? Das ist falsch, Eddie.« Sie wandte sich wieder an ihren Verlobten. »F-a-l-s-c-h. Wie sollen wir heiraten, wenn du hinter Gittern landest?« Eddie wirkte zerknirscht, verlegte sein Gewicht wie ein Schuljunge von einem Fuß auf den anderen und schrumpfte innerhalb weniger Sekunden vom wütenden Kampfhund zum winselnden Welpen. »Warte draußen«, befahl sie ihm, und er trottete schweigend hinaus. »Er wird draußen warten«, sagte sie zu Solanka, die andere Frau im Zimmer total ignorierend. »Wir müssen miteinander reden.«
Die andere Frau war es jedoch nicht gewohnt, von einer Szene ausgeschlossen zu sein, zu der sie gehörte. »Was soll das heißen, er hat Ihre Schlüssel gestohlen?« wollte Neela wissen. »Wieso hat sie deine Schlüssel? Was heißt, ihr zwei seid Kollegen? Was meint sie mit verständlicherweise ? Warum muß sie mit dir reden?«
Sie muß mit mir reden, antwortete Professor Solanka in Gedanken, weil sie glaubt, ich denke, daß sie ihren Vater gefickt hat, während ich tatsächlich weiß, daß ihr Vater sie gefickt hat, und das ist ein Problem, in das ich sehr viel Recherchen investiert habe. Er hat sie jeden Tag gefickt wie eine Ziege - wie ein Mann -, und dann hat er sie verlassen. Und weil sie ihn geliebt, aber auch genauso verabscheut hat, hat sie seitdem nach Ersatzversionen gesucht, Imitationen des Lebens. Sie ist eine Expertin in der Verhaltensweise ihres Zeitalters,
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